VIII. London Global Forum

London, Vereinigtes Königreich

7. Oktober 2019

Thema: Buchvorstellung „Brexit. Ursachen und Folgen“ von Rudolf G. Adam

Am Montag, den 7. Oktober 2019, präsentierte Sir Robert Cooper Mitgliedern von Global Bridges und einigen geladenen Gästen das Buch „Brexit. Ursachen und Folgen“, verfasst von unserem Mitglied Rudolf Adam. Die Veranstaltung fand im Churchill Room im Carlton Club in St. James, London, statt.

Ermöglicht wurde die Veranstaltung durch die großzügige Gastfreundschaft von Christiane und Axel Hansing. Unter den Gästen waren Dame Pauline Neville-Jones und einige prominente Journalisten.

Sir Robert lobte das Buch als den besten Bericht darüber, warum und wie der Brexit in Großbritannien – genauer gesagt in England – zu einer solchen Obsession geworden ist. Nach seiner Einschätzung kann ein Außenstehender das ganze Bild manchmal besser erkennen als jemand wie er selbst, der unbedingt leidenschaftlich beteiligt sein muss. Die sich verschärfenden und ohnehin schon deutlichen Unterschiede zwischen den vier Teilen des Vereinigten Königreichs sind eine der größten Gefahren, die der Brexit mit sich bringt. Durch die Auflösung der externen Bindungen an die EU schwächt der Brexit auch den internen Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs. Der größte Stolperstein beim Brexit ist die Frage über die zukünftige Natur der irischen Grenze – etwas, was während der Brexit-Kampagne 2016 niemand vorausgesehen hatte. Sir Robert unterstrich die Fehler und die Fehlannahmen, die sowohl David Cameron als auch Theresa May unterliefen, als sie den Brexit angingen. Diese Fehler waren verantwortlich dafür, dass der Brexit letztlich in einer Verfassungskrise mündete. Das Machtverhältnis zwischen Königshaus, Regierung, Parlament und Volk ist radikal durcheinander geraten, sodass momentan ein Machtkampf darüber entbrannt ist, wer letztlich die Oberhand gewinnt. Es ist gefährlich, Wähler gegen ihre rechtmäßigen und legitimen Vertreter zu mobilisieren. Ein Referendum sollte niemals Entscheidungen des Parlaments ersetzen. Ein Referendum kann einen Parlamentsbeschluss bestätigen, verwerfen oder korrigieren. Es sollte jedoch niemals als Ersatz dienen, wenn ein Parlament entscheidungsunfähig ist.

Die zentralen und beinahe irreparablen Versäumnisse waren:

1. Die überwiegend negative Rhetorik bezüglich der EU, die die vielen Vorteile der Mitgliedschaft komplett überschattete.

2. Der Verzicht einer systematischen Informationskampagne über Konsequenzen und Probleme des Brexits. Stattdessen führten einige Aktivisten völlig unzutreffende Versprechungen ins Feld.

3. Das Fehlen einer überzeugenden und verbindenden Vision, was an die Stelle der EU-Mitgliedschaft treten sollte. Der Brexit war ein negatives Konzept, das „Nein“ zum status quo sagte, ohne „Ja“ zu etwas Neuem zu sagen. Es ist vergleichbar mit dem Aufbruch zu einer Reise ohne klares Ziel. Im Verlauf einer solchen Reise kommt es dann unvermeidlich zu Streit darüber, wohin es eigentlich gehen soll. Dieser fatale Ansatz hat die parlamentarische Entscheidungsfindung paralysiert und zu wiederholten negativen Abstimmungen im Unterhaus geführt. Die Abgeordneten widersetzen sich jedem Vorschlag, ohne selbst in der Lage zu sein, eine solide Mehrheit für ein Ergebnis zu generieren.

Sir Robert brachte es auf den Punkt: „52 Prozent sind keine Mehrheit, solange sie alle unterschiedlicher Meinung sind.“ Sowohl Sir Robert als auch Rudolf Adam zeigten sich skeptisch bezüglich der demokratischen Legitimität eines Referendums. Es müssen viele Vorkehrungen getroffen werden, damit die Personen, die wählen, wirklich wissen, worum es geht. Hier lässt sich viel von der Schweiz zu lernen. In Sir Roberts Worten ist das Referendum von 2016 auf bemerkenswert schlampige Art und Weise organisiert gewesen. Referenden haben, wie jede politische Entscheidung, eine Haltbarkeit, nach der sie ihre Relevanz verlieren. Ein weiterer Fehler bestand darin, die Erklärung nach Artikel 50 abzugeben und damit die Zweijahresfrist in Gang zu setzen, ohne ein kohärentes Konzept für die Strategie und die Taktik der kommenden Verhandlungen zu haben. Die von der EU-Kommission durchgesetzte Reihung, zuerst den Austrittsvertrag abzuschließen und dann erst den Rahmen für künftige Beziehungen zu erörtern, führten zu einer ernsthaften Benachteiligung der britischen Seite, obwohl der Wortlaut von Artikel 50 einen parallelen, wenn nicht sogar umgekehrten Ansatz nahelegt.

Es folgte eine lebhafte und angeregte Diskussion. Die gegenwärtige Kluft in der britischen Gesellschaft kann nicht allein mit verfahrenstechnischen Mitteln geheilt werden. Weder eine vorgezogene Wahl noch ein weiteres Referendum würden die gegenwärtige Situation beruhigen und den notwendigen Konsens herstellen, der Voraussetzung für jede langfristig tragfähige Lösung ist. Was Not tut, ist eine nüchterne, informierte, rationale, offene, landesweite Debatte, um Klarheit über die nationalen Prioritäten zu gewinnen. Eine Wahl wird vermutlich keine eindeutige Mehrheit hervorbringen. Wahrscheinlicher ist ein weiteres Parlament, das nicht in der Lage ist, eine klare Mehrheit zu generieren. Zudem würde ein Referendum vermutlich nicht nur eine weitere, noch verheerendere Kampagne auslösen, sondern höchstwahrscheinlich auch nicht die notwendige Mehrheit bringen, um die Angelegenheit zur Ruhe zu bringen. Rudolf Adam wies darauf hin, dass die Hoffnung, dass ein Referendum ein umstrittenes politisches Problem „ein für alle Mal“ zum Erliegen bringen könne, nach historischer Erfahrung eine Illusion sei.

Die Ereignisse des nächsten Tages (Indiskretion über Johnsons Telefonat mit Merkel und das durchgesickerte Memorandum von Downing Street No. 10 über radikale Überlegungen, wie man angesichts zunehmenden Widerstands mit dem Brexit fortfahren soll) gaben dem Ereignis zusätzliche Relevanz.

Von Rudolf G. Adam