Russland – quo Vadis?

25. August, 2020

Mit großer Erwartung an unsere Videokonferenz „Russia – quo Vadis?“ am 25.08.2020 hatten wir in den letzten Wochen die Nachrichten zu Russland mit Spannung verfolgt. Für unseren Gastredner, Botschafter a.D. Rüdiger von Fritsch, der von 2014 bis 2019 deutscher Botschafter in Russland war, standen angesichts der vielen aktuellen Ereignisse zahlreiche Fragen zur Diskussion. Dr. Angela E. Stent, Professorin an der Georgetown University in Washington D.C. und Direktorin des Zentrums für eurasische, russische und osteuropäische Studien, hatte die Diskussion moderiert. Beide haben kürzlich passend zum Thema ein Buch verfasst. Von Fritschs „Russlands Weg. Als Botschafter in Moskau“ erscheint im Herbst 2020. Frau Dr. Stents „Putin’s Russland“ wurde Anfang 2019 veröffentlicht.

Aus aktuellem Anlass: Fall Alexej Nawalny
Begonnen hat der Abend mit der Frage nach der mutmaßlichen Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Die Tat ließe sich auf unterschiedliche Täterkreise zurückführen, so von Fritsch. Es sei allerdings davon auszugehen, dass sie entweder in enger Rücksprache oder im direkten Auftrag des Kremls durchgeführt wurde. Möglicher Grund seien die anstehenden Lokal- und Regionalwahlen und die damit einhergehende Angst, Stabilität und Macht im Land zu verlieren. Hierzu zwei Beispiele von Botschafter a.D. von Fritsch:

(i) Im Nachbarland Belarus beobachte die russische Regierung, wie ein Autokrat schlagartig geschwächt wird. Präsident Lukaschenko wird von anhaltenden Protesten in die Enge getrieben. Dies mache deutlich, dass unterwartete Protestbewegungen die Regierung herausforderten. Triebfeder wären nach russischem Regierungsverständnis Kräfte aus dem Ausland, Kristallisationspunkte zum Beispiel jemand wie der Oppositionelle Nawalny.

(ii) Die Wirtschaftslage in Russland habe sich durch die Corona Pandemie deutlich verschlechtert und der Zuspruch und das Vertrauen der Bürger gegenüber dem Kreml abgenommen.

Insgesamt sei dennoch davon auszugehen, dass die Regierung an der Macht bleibe. Noch gelinge es der klassisch autokratischen Führung, sich mit einem Mix aus Unterdrückung, Korruption und Nationalstolz durchzusetzen.

Der ewige Putin, wer auch immer das sein wird
Herr von Fritsch zählt unterschiedliche Entwicklungsoptionen für Russland auf. Neben einer friedlichen Demokratisierung (derzeit weniger wahrscheinlich) oder einer gewaltsamen Transformation (nie gänzlich auszuschließen), hält er folgendes Szenario für am wahrscheinlichsten: „Der ewige Putin, wer auch immer das sein wird“ („the eternal Putin whatever his name will be“). Mit einem Referendum hat der Präsident seine Amtszeit bis 2036 verlängert. Ob er dies tatsächlich in Anspruch nehmen wird, sei ungewiss, so von Fritsch. Es sei ihm dadurch aber möglich, länger im Amt zu bleiben, um persönliche Entscheidungen zu treffen und seinen Nachfolger wann auch immer zu bestimmen. Dieser müsse gewährleisten, dass alles bleibe, wie es ist – ‚the eternal Putin‘.

Für Europa sei es in jedem Falle wichtig, geschlossen den eigenen Prinzipien treu zu bleiben und diese deutlich gegenüber Russland zu vertreten. Gleichermaßen wichtig sei es, den Dialog fortzusetzen und jene Brücken und Mittel nutzen, die in den vergangenen Jahren aufgebaut wurden, so der ehemalige Botschafter.

Russlands internationalen Beziehungen

Deutschland: Die deutsche Bundeskanzlerin sei jene westliche Politikerin, die von Putin am meisten akzeptiert und respektiert werde. Dennoch geht von Fritsch davon aus, dass sich mit einem neuen Bundeskanzler die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland kaum ändern würden. Allerdings könnten sich im Ergebnis der Politik von Präsident Trump die transatlantischen Beziehungen verändern, so beispielsweise im Ergebnis möglicher extraterritorialer US-Sanktionen gegen das Projekt Nord Stream 2.

Belarus
: Auf den Straßen in Minsk seien vor allem weißrussische und nicht europäische Flaggen zu sehen. Die russische Außenpolitik sei letztlich auch pragmatisch und greife daher nicht zwangsläufig in jede „Farbrevolution“ im ‚nahen Ausland‘ ein. Belarus sei stark von Russland abhängig, sodass zukünftige belarussische Regierungen gut beraten seien, eine gute Beziehung zu Russland zu pflegen. 50 Prozent des belarussischen Exports gingen schließlich nach Russland. Gebe es also eine andere Führung als Lukaschenka, die es bei guten Beziehungen zu Russland belasse, könnte Moskau damit leben.

Ukraine
: von Fritschs Antwort auf die Frage, ob dem Protokoll von Minsk weiterhin Beachtung geschenkt werden sollte, obwohl Russland und die Ukraine offensichtlich ein unterschiedliches Verständnis von der Implementierung haben, lautet ja. Solange es keine gute Alternative gebe, die von allen Seiten akzeptiert würde, sei dieses Abkommen notwendig, um den Konflikt in Schach zu halten, so von Fritsch. Es sei offensichtlich, dass wir momentan nicht in der Position seien, den Konflikt zu beenden, aber wir könnten dafür sorgen, dass er sich nicht verschärfe.

China
: Die russisch-chinesische Beziehung sei relevant, aber extrem unausgeglichen, sagt von Frisch. Russland verfüge letztlich über keine starke Wirtschaft. Während China weltweit, nach Europa, die zweitstärkste Wirtschaft habe, sei die russische Wirtschaft so groß wie die des Staates New York (etwas schwächer als Italiens Wirtschaft). Aus dieser Partnerschaft entstünden Schäden für Russland, die dazu führen könnten, dass Russland interessiert sein könnte, sich wieder stärker Richtung Westen zu orientieren. In diesem Falle sei es von westlicher Seite wichtig, gegenüber Russland offen zu bleiben und interessante Angebote zu machen, um Russland nicht mit China alleine zu lassen.

Türkei
: Die russisch-türkische Beziehung sei eine explosive Partnerschaft mit zwei starken Autokraten, die sowohl Kooperationen als auch Konfrontationen eingingen. Es gelinge ihnen jedoch immer wieder, zueinander zurückzufinden, so von Fritsch. Beide verfolgten gemeinsame Interessen und seien am Ende pragmatisch.

Syrienkonflikt
: Ohne es gutheißen zu wollen, sagt von Fritsch, dass Russland im Syrienkonflikt aus russischer Sicht militärisch wie diplomatisch erfolgreich agiert habe. Im Laufe des Konflikts habe Russland seinen Einfluss zunehmend ausbreiten können. Dies hinge auch mit dem Rückzug der US-Außenpolitik zusammen. Der Konflikt diene Russland im Übrigen als Plattform, seine Waffen zu bewerben. Diese seien gemeinsam mit fossilen Rohstoffen, das wichtigste Exportgut Russlands. von Fritsch macht deutlich, dass Russland nicht immer politische Strategien verfolge, sondern häufig nach Opportunitäten entscheide. Er glaube nicht, dass Russland im Nahen Osten unbedingt längerfristig eine Rolle spielen möchte, sondern sich auch danach richte, welchen Handlungsraum amerikanische Abwesenheit ihm lasse.