Gegenseitiges Interesse, mutige Entscheidungen und echte Commitments. Die Zukunft der europäisch-afrikanischen Beziehungen

15. Juli, 2020

Am 15. Juli fand unsere Videokonferenz zum Thema „Europa und Afrika als Weggefährten“ statt. Pünktlich zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft gewährte unser Gastredner Günter Nooke, persönlicher Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin, tiefe Einblicke in die Beziehung zwischen Europa und dem afrikanischen Kontinent. Wir diskutierten über die Herausforderungen und Chancen einer zukunftsorientierten Partnerschaft. Moderiert wurde der Abend von Dr. Christiane Kraus, Afrikaexpertin im Bereich internationaler Entwicklungszusammenarbeit.


Die geborenen Partner

Günter Nooke ist überzeugt, dass sich der afrikanische und der europäische Kontinent als Weggefährten begreifen müssen. Europa wäre für viele afrikanische Länder die erste Wahl, obwohl die historische Beziehung bereits schwer belastet sei. Dies liege vor allem daran, dass die kulturellen Barrieren zu China sehr viel größer seien und es zu den USA kein Vertrauen gäbe. Um das für sich zu nutzen, sollten sich die Europäer gemeinsam mit den Afrikanern bemühen, ein besseres Verständnis füreinander zu entwickeln. Es sei wichtig, dass man sich – trotz der vielen Unterschiede – aufeinander einlässt, versteht und verlässt, so Nooke. Sie seien geborene Partner mit gemeinsamen Interessen, die sich jedoch nicht gegenseitig überfordern dürften. „Es bringt nichts, sich ständig mit Forderungen zu konfrontieren, die für den anderen unerfüllbar sind“ sagt Nooke. Vielmehr gehe es darum, dass zukünftige Verträge auf Reziprozität beruhen und Prinzipien einschließen, die für alle gleichermaßen gelten. Hierfür müsse Europa nicht seine Grundwerte und Überzeugungen aufgeben, aber die Europäer sollten bei ihren Erwartungen die Verhältnisse, die auf dem afrikanischen Kontinent herrschen, berücksichtigen. Laut Nooke sollten die thematischen Schwerpunkte und eingeforderten Mindeststandards nicht zu hoch greifen und eine Zusammenarbeit behindern. Stattdessen sei es wichtig, zu übermitteln, dass sich Europa auf einen langen Prozess einlässt, echte Beziehungen aufbaut und gegenseitiges Interesse zeigt.

Die europäische Afrikapolitik

Die größte Herausforderung für die Beziehung zwischen Europa und dem afrikanischen Kontinent ist seit 2015 die Flüchtlingsfrage, erklärt Nooke. Es sei wichtig, Perspektiven auf dem afrikanischen Kontinent zu schaffen und Fluchtursachen zu vermindern. Dieser Ansatz entspreche einer rationalen Afrikapolitik, auf die sich alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union einigen könnten. Eine Lösung wäre das Vorantreiben der Industrialisierung. Es sei vor allem wichtig, eine bessere Infrastruktur zu entwickeln und Arbeitskräfte auszubilden. Hier habe Europa zahlreiche Möglichkeiten, sollte diese jedoch deutlich konsequenter nutzen und Entscheidungen mutiger treffen. Europa hat die Chance, sich an einem endogenen Wachstum auf dem afrikanischen Kontinent zu beteiligen und den Markt zu vergrößern, so Nooke.

Ende Oktober 2020 findet der geplante EU-Afrika-Gipfel in Brüssel statt. Hier nehmen alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie alle 55 Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union teil. Grundlage solle eine „Comprehensive Strategy with Africa“ sein, die sich mit geostrategischen Zielen, Frieden und Sicherheit befasse. Laut Nooke sei es wichtig, dass die Strategie wirklich gemeinsam mit den Vertretern der afrikanischen Staaten erarbeitet wird. Außerdem müssten, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, Entscheidungen getroffen werden, die zu einer neuen Afrikapolitik verhelfen könnten:

  1. Entscheidung über den Haushalt der nächsten 7 Jahre
  2. Entscheidung über die Budgetierung des europäischen Entwicklungsfonds
  3. Entscheidung über ein Folgeabkommen des Cotonou-Abkommens (Vertrag zwischen der EU und 79 afrikanischen, karibischen und pazifischen (AKP-)Staaten, die größtenteils ehemalige Kolonien der EU-Mitgliedstaaten waren)

Als Alternative für das Cotonou-Abkommen schlägt Nooke ein Kontinent-zu-Kontinent-Abkommen vor. Dieses würde einer Partnerorientierung gerechter werden und Europa hätte die Möglichkeit, gezielter auf das Freihandelsabkommen der Afrikanischen Union einzugehen. Im Zuge des wachsenden afrikanischen Marktes und der Zollunion innerhalb der Afrikanischen Union, nehme die Investitionsbereitschaft Europäischer Unternehmer zu, sagt Nooke. Der afrikanische Markt könnte zurzeit 1,3 Mrd. Menschen und in circa 20 Jahren 2 Mrd. Menschen versorgen. Das wäre der größte Wachstumsmarkt weltweit. Es sei daher eine sinnvolle europäische Afrikapolitik, europäischen Firmen Beihilfe zu leisten, um auf dem afrikanischen Kontinent zu investieren.

Der europäische Green Deal sei für den afrikanischen Kontinent eine Chance, erklärt Nooke. Würde Europa ein echtes Commitment eingehen, dann sollte es in den Ausbau eines Wasserkraftwerks im Kongo investieren. Es wäre ein Milliardenprojekt, mit dem der afrikanische Kontinent eine wichtige Rolle in der Energieproduktion einnähme und sich Europa in die Abhängigkeit seines Partnerkontinents begäbe. Dieses Projekt könnte ein Zeichen für den afrikanischen Kontinent sein, dass es Europa ernst meint mit dem Green Deal, der Geopolitik und dem „Chancenkontinent Afrika“.

Chinas Engagement als Triebfeder Europas

Herr Nooke ist kritisch, was die Art der Abhängigkeit über Verschuldungen des afrikanischen Kontinents gegenüber Chinas betrifft. Trotzdem ist er der Meinung, dass es zu leicht wäre, den Chinesen einzig ein eigennütziges Verhalten zu unterstellen. Sie seien die ersten gewesen, die sich nach den Bürgerkriegen auf dem afrikanischen Kontinent helfend engagierten. Sie bauten Verwaltungsgebäude und Straßen, die nicht ausschließlich für den Abtransport von Rohstoffen dienten. China hätte mit seinem Engagement eine Lücke gefüllt, die kein anderes Land bereitgewesen war zu füllen. Selbstverständlich mache die Weltmacht China auch Geopolitik. Dies sollte Europa aber als Ansporn nehmen, selbst aktiv zu werden und mutige Entscheidungen zu treffen, statt Vorwürfe zu machen.