Wie kann Südafrika mehr Stabilität gewinnen?

Anlässlich des für 2022 geplanten Study Trips nach Südafrika lud Global Bridges am 16. September zu einer Videokonferenz zu den jüngsten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in Südafrika ein. Als Gastredner waren der Gesandte Dr. Rüdiger Lotz, stellvertretender deutscher Botschafter in Südafrika und Herr Matthias Boddenberg, Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer für das südliche Afrika geladen. Moderiert wurde die Konferenz durch Herrn Dr. Matthias von Bismarck-Osten, Beiratsmitglied von GreenTec Capital Partners.

Die Konferenz begann mit der Begrüßung der stellvertretenden Geschäftsführerin von Global Bridges, Dr. Claudia Winterstein, die die Bedeutung des Themas erläuterte und die Gastredner sowie den Moderator vorstellte. Frau Dr. Winterstein wies auf die große Einkommensungleichheit, die hohe Arbeitslosigkeit sowie auf die schweren sozialen Unruhen der vergangenen Monate hin. Die Allgegenwärtigkeit von Kriminalität und Korruption sowie ihr Einfluss auf das wirtschaftliche Potenzial Südafrikas wurden ebenfalls hervorgehoben. Auf der anderen Seite betonte sie, dass das Land die zweitstärkste Wirtschaftskraft auf dem afrikanischen Kontinent ist und sich in den letzten Jahren eine stark wachsende technologiebasierte Startup-Szene entwickelt hat. Im Jahr 2018 investierten deutsche Unternehmen nicht nur 5,3 Mrd. Euro in Südafrika, sondern das Land war mit einem Handelsvolumen von mehr als 17 Mrd. Euro Deutschlands wichtigster Handelspartner in Afrika.

Der Moderator der Videokonferenz, Herr Dr. von Bismarck-Osten, begrüßte die Teilnehmer und ging auf die teils gewaltsamen Proteste und Plünderungen in Durban und anderen Städten Anfang Juli ein. Als Gründe für diese Unruhen nannte er zum einen die Verhaftung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma sowie die Coronakrise und ihren Einfluss auf die wirtschaftlichen Verhältnisse. Nach der Meinung einiger Kolumnisten befände sich Südafrika an einem Wendepunkt und es sei nicht klar, ob das Land auf den Weg der Reform zurückfindet oder ob es in eine Abwärtsspirale aus sinkenden Investitionen und Beschäftigungsmöglichkeiten sowie steigenden Staatsausgaben und sozialer Ungerechtigkeit gerät. Als akute Probleme wurde die Dysfunktionalität der Regierungspartei African National Congress (ANC), die allgegenwärtige Korruption in öffentlichen Institutionen (bis hin zum ‚state-capture‘), die hohe Arbeitslosigkeit und Armut sowie die aktuelle Bildungsmisere hervorgehoben, welche die soziale Durchlässigkeit der südafrikanischen Gesellschaft blockiert.

Der Gesandte Dr. Lotz ging auf die Frage ein, wie Südafrika mehr Stabilität gewinnen kann und betonte, dass sich das Land auf einem Scheideweg befände. Als einer der Gründe für die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme Südafrikas verwies er auf die Verhaftung Jacob Zumas. Seine Partei, der ANC, sei in einem innenpolitischen und innerparteilichen Kampf mit der Fraktion um den jetzigen Präsidenten Cyril Ramaphosa gefangen. Dieser Machtkampf sei ausschlaggebend dafür, dass Arbeitsplätze verloren gingen und sich die Wirtschaftslage zunehmend verschlechtere. Der ANC habe sich seit den 80er und 90er Jahren ideologisch gespalten und grundlegend verändert. Zudem verwies er auf die zunehmende Gewaltbereitschaft im Zusammenhang mit der vorherrschenden sozialen Ungerechtigkeit im Land sowie auf die durch die Coronakrise entstandene Perspektivlosigkeit der Bevölkerung. Das Fehlen flächendeckender Gesundheitsversorgung im Allgemeinen sowie die relativ geringe Verfügbarkeit von Corona-Schutzimpfungen verstärke das Problem. Das hohe Frustrationspotential äußere sich in hohen Kriminalitäts- und Mordraten, die auch durch ein Versagen des Staates, insbesondere der Sicherheitskräfte, begünstigt würde.

Lichtblicke sieht der Gesandte Dr. Lotz in der freien Berichterstattung über die gewaltsamen Proteste sowie in dem funktionierenden Justizsystem und der Nichteinmischung der Sicherheitskräfte in die (innen-)politische Auseinandersetzung. Zudem wies er auf die Errungenschaften seit Ende des Apartheidsregimes hin und betonte nicht nur den überwiegend friedlichen Übergang von der rassistischen Gesellschaftsstruktur hin zur Regierungsmacht der schwarzen Bevölkerungsmehrheit, sondern auch die Erhaltung der diversifizierten Wirtschaft und Südafrikas stabile Finanzpolitik. Nun sei es an der Zeit, Strukturreformen schnell und effektiv umzusetzen. Hierbei ginge es nicht nur um Korruptionsbekämpfung und die Anziehung von ausländischen Direktinvestitionen, sondern auch um eine grundlegende Veränderung des Bildungs- und Ausbildungssystems. Das sinkende Niveau der öffentlichen Schulen führe zu einer Abnahme der wirtschaftlichen Teilhabe junger Menschen sowie zum Fehlen einer gut ausgebildeten Mittelschicht. Durch solche strukturellen Reformen könne sich Südafrika zu einem ‚Hub‘ entwickeln, der ausländischen Firmen den Eintritt in den gesamtafrikanischen Markt ermögliche, begünstigt durch die Afrikanische Freihandelszone.

Die fehlende Reformfähigkeit der Regierungspartei ANC und der Mangel an politischen Alternativen verhindere jedoch derzeit einen solchen grundlegenden Wandel. Dr. Lotz befürchtet für die Zukunft des Landes eine Art ‚Inselbildung‘ mit funktionierenden Enklaven aus wohlhabenden Südafrikanern, die traditionell staatliche Leistungen – wie Bildung, Gesundheit oder Sicherheit – von privaten Auftragnehmern in Anspruch nehmen. Nichtsdestotrotz biete das Land enorme Chancen für die Zukunft.

Herr Matthias Boddenberg bedankte sich zunächst bei Herrn Gesandten Dr. Lotz für die realistische Schilderung der Lage in Südafrika. Er wies zudem darauf hin, dass der ANC keine klassische Partei sei, sondern eine Allianz von verschiedenen kirchlichen, feministischen und kommunistischen Fraktionen – weswegen das Konfliktpotential riesig sei. Die innerparteiliche Auseinandersetzung zwischen der Ramaphosa- und Mabuza-Fraktion äußere sich in kleptokratischen Zügen verschiedener Regierungsvertreter sowie in ihrer Unfähigkeit, die hohe Arbeitslosigkeit oder die dysfunktionalen Staatsbetriebe in Schach zu halten. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, welche bei rund 60 Prozent liegt, entstünde dadurch, dass das öffentliche Schulwesen am Bedarf der Wirtschaft und des Staates vorbei ausbilde. Aus diesem Grund hob Herr Boddenberg die Bedeutung der praktischen Berufsausbildung hervor. Historisch gesehen sei diese Art der Ausbildung nach Ende der Apartheid als rassistisch in Verruf geraten. Im Laufe der Unruhen Anfang Juli hätte man zudem beobachten können, dass lokale Störungen in der Infrastruktur, beispielsweise die Schließung der Autobahn und des Hafens in Durban, enorme wirtschaftliche Auswirkungen in den Nachbarländern Südafrikas habe.

Herr Dr. von Bismarck-Osten nannte Südafrika daraufhin einen Stabilitätsanker für ganz Afrika, denn trotz aller Probleme würden sich viele Länder auf dem Kontinent nach dem Wohlstand, dem geordneten Staatswesen, der guten Infrastruktur und der Pressefreiheit sehnen und orientieren. Der Moderator eröffnete daraufhin die Fragerunde aus dem Publikum.

Die erste Frage richtete sich an Herrn Boddenberg als langjährigen Bewohner Südafrikas und zielte auf sein persönliches Empfinden der Veränderungen seit dem Ende der Apartheid ab. Dieser erklärte, dass sich das Land von einer „Apartheid der Farben“ zu einer „Apartheid des Geldes“ hinbewegt hätte. In Südafrika gäbe es jedoch immer noch unterschwelligen Rassismus, der nur schwer aus den Köpfen der Leute zu bekommen sei.

Die zweite Frage drehte sich um das Thema Tourismus und sein Potential für wirtschaftlichen Aufschwung in Südafrika. Herr Boddenberg wies auf die Problematik hin, dass es keine Kultur der Ausbildung gäbe, sondern stattdessen eine Kultur des Anlernens, was dazu führe, dass Ausbildungen im Tourismusbereich nicht länger als ein Jahr dauern. Der Gesandte Dr. Lotz hob die Bedeutung des Tourismussektors hervor und betonte, dass 5 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung im Tourismus beschäftigt seien und vor der Pandemie rund 400.000 Deutsche das Land besucht hätten. Aber auch der Sektor leide zur Zeit unter den Auswirkungen der Pandemie.

Die nächste Frage drehte sich darum, wie man deutsche Firmen dazu bewegen könnte, ein wirtschaftliches Standbein in Südafrika aufzubauen. Herr Boddenberg erklärte, dass gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie viele Firmen Alternativen zum asiatischen Markt suchten, um das Risiko von Produktionsausfällen zu streuen. Südafrika eigne sich als ideales Eingangstor für die Märkte des südlichen Afrikas sowie der Subsahara.

Folglich ging es um die gesellschaftliche Spaltung des Landes, welche – so wurde nochmals wiederholt –  auf große sozioökonomische Unterschiede zurückzuführen sei. Auf die Frage, wie eine bessere Verbindung dieser gesellschaftlichen Schichten zu erreichen sei, erläuterte der Gesandte Dr. Lotz, dass insbesondere mangelnde Bildungschancen nicht mit fehlenden (monetären) Ressourcen zusammenhängen, sondern mit den wenig motivierten Lehrkräften im öffentlichen Schulsystem. Herr Boddenberg fügte hinzu, dass die geringe Bezahlung von Lehrkräften den Beruf wenig attraktiv mache und zu Bestechlichkeit innerhalb des Bildungssystems führe. Zudem wies er auf eine psychologische Komponente hin, nämlich, dass die berufliche Ausbildung einen schlechten Ruf in Südafrika habe, da der ANC eine praktische Ausbildung als minderwertig zu einer universitären Ausbildung ansehe. Daher müsse man junge Menschen sowohl für die Zukunft wie auch für den Markt ausbilden, mit einem Fokus auf diejenigen Sektoren, die von Unternehmen besonders gefragt werden.

Auf die Frage nach Hoffnungsmachern für die Zukunft Südafrikas wies Herr Boddenberg auf die Kombination von etablierter Wirtschaft und kreativer Industrie im Lande hin. Das Level der südafrikanischen Startup-Szene sei fast mit dem Israels zu vergleichen. Er sei auch ermutigt durch die Tatsache, dass die jüngere Generation nicht mehr von den alten Vorurteilen geprägt sei, sondern sich durch eine allgemeine Aufbruchsstimmung auszeichnet.

Die Diskussion wandte sich dann dem Thema HIV/AIDS zu. Obgleich die Erkrankung durch die Corona-Pandemie in jüngster Zeit in den Hintergrund geraten ist, sei AIDS dennoch ein akutes Problem in Südafrika, so der Gesandte Dr. Lotz. Die Regierung habe in den vergangenen zwei Jahrzenten große Anstrengungen unternommen und mittlerweile das weltweit umfangreichste kostenfreie Programm eingeführt, was die Behandlung von HIV-Infizierten angeht. AIDS sei aber nur eine von drei Krankheiten, neben Tuberkulose und Malaria, die insbesondere in den ländlichen Regionen viele Todesopfer fordert.

Abschließend bedankte sich Herr Dr. von Bismarck-Osten für die Teilnahme der Redner und Mitglieder. Die Unruhen im Juli bezeichnete er als „Wake-Up-Call,“ der nicht nur die Fragilität der politischen Führungsriege unterstreiche, sondern auch einen Wendepunkt für die zukünftige Entwicklung Südafrikas darstelle. Zusammenfassend drückte er seine Hoffnung aus, dass das Land bald schon die nötigen strukturellen Reformen, insbesondere in der Bildung, einleite. Ein Versagen würde eine negative Wirkung auf den gesamten afrikanischen Kontinent haben. Frau Dr. Winterstein bedankte sich bei den Rednern und dem Moderator für die interessante Diskussion und drückte ihre große Vorfreude auf den Study Trip nach Südafrika und Tansania im Jahr 2022 aus.