III. Study Trip nach Ohio

Bowling Green, Ohio

USA 1.-6. November 2016

Anfang November 2016, in den letzten Tagen des amerikanischen Wahlkampfes, reisen die Mitglieder von Global Bridges nach Bowling Green, Ohio. Das liegt 132 Kilometer südwestlich von Detroit und 290 Kilometer nördlich von Cincinnati. Warum ausgerechnet dieser entlegene Ort? Hier, im „Swing State“ Ohio, hat seit 1964 noch kein Präsidentschaftskandidat verloren, der auch später Präsident wurde. Seit 1896 hat Ohio nur zweimal den Verlierer gewählt.

Verlassene Gebäude, geschlossene Geschäfte, und nur ein paar Fußgänger in der nahe gelegenen Innenstadt von Toledo zeigen die Schwierigkeiten, die diese Gegend, besser bekannt als „Rust Belt“, prägen. Bei Treffen mit Bürgermeistern, Lokalpolitikern, und Wahlkämpfern von sowohl der demokratischen als auch der republikanischen Partei kristallisiert sich der Eindruck heraus, dass bislang wenig erreicht wurde, um die Situation in dieser Region zu verbessern.

Bei einem kurzen Besuch des „Lucas County Election Board“ lernen wir, dass man sich erst registrieren muss, bevor man wählen kann. Hat man vier Jahre hintereinander nicht gewählt, wird man automatisch deaktiviert. Nur 65-70% der wahlberechtigten Bevölkerung sind tatsächlich registriert und von denen wiederum wählen letztendlich nur 70%, d.h. die theoretische Wahlbeteiligung liegt bei ca. 49%. Das hilft, die relativ niedrige Wahlbeteiligung an US-Wahlen zu verstehen. Sie liegt seit 2000 bei durchschnittlich 54.5% der wahlberechtigen Bevölkerung im Vergleich zu 74.7% in Deutschland in dem gleichen Zeitraum.

Obwohl beide Parteien umfassende Datenanalysen über ihre Wählerschaft nutzen, bedeutet Basisarbeit immer noch das Sammeln von Informationen, indem man von Tür zu Tür geht. Um ihre potentiellen Wähler zu identifizieren und zu gewinnen, setzen die Demokraten im Wesentlichen auf die Hilfe der Gewerkschaften. Dagegen haben die Republikaner „Trump Victory Centers“ eröffnet, um ihre Präsenz und politischen Inhalte zu verstärken. Kandidaten beider Parteien nutzen die Super Political Action Commitees (PACs) , eine Art Wahlkampf-Komitee, das unbegrenzt Spenden von Firmen, Gewerkschaften, Einzelpersonen und Organisationen einwerben kann, um ihren Kandidat in der Wahl zu unterstützen, ohne diese benennen zu müssen.

Stahlarbeiter, die Demokraten unterstützen, und Hausfrauen, die die Wahltelefone der Republikaner besetzen; hier wirbt nicht „Big Money“. Stattdessen hören wir einer Mutter zu, die sich arbeitslos melden musste, um Anspruch auf staatliche Übernahme der Rechnungen für die medizinische Behandlung ihres Sohnes zu erhalten. Wir hören von einem Speditionskaufmann, der seinen Job verloren hat, und der nun in den vorzeitigen Ruhestand gehen musste, mit nur noch 40% seines früheren Gehaltes. Ein Freund unseres Gastgebers in Cincinnati fasst die Gefühlslage innerhalb der Mittelklasse zusammen: „Die Leute empfinden, dass der Sozialvertrag aufgekündigt wurde; der American Dream funktioniert nicht mehr so wie er es in der Vergangenheit getan hat.“

Auf diese Erkenntnis stützt sich auch Bernie Sanders, ein linker Demokrat, der eine mitreißende Rede vor 1000 Studenten an der Cincinnati Universität hält. Er verspricht, dass die Regierung unter Hillary Clinton die Ausbildungskosten mit verschiedenen Maßnahmen senken wird. Herr Sanders erklärt jedoch nicht, wie solche Mittel finanziert werden sollen. Er spricht den Klimawandel als wissenschaftlich erwiesen an, und dessen Verleugnung durch Donald Trump, der dieses Phänomen einen schlechten Scherz nennt. „Wir denken nicht, dass es eine gute Idee wäre, 20 Millionen Amerikaner aus der Krankenversicherung zu werfen“, sagt Sanders vor einer aufgebrachten Menge, und nimmt dabei  eines der Hauptziele der Trump-Agenda aufs Korn.

Während einige von uns Hillary Clintons Wahlkampfauftritt in Detroit besuchen, nimmt der Rest an einer Kundgebung von Donald Trump in einem offenen Flugzeughangar teil.  Ironischerweise liegt der Airborne Airpark, Wilmington in “Clinton County“. Unsere frühe Ankunft und vier Stunden Wartezeit sichern uns gute Sicht bei 3000 Zuschauern. Deren Zusammensetzung beweist, dass die Berichte der deutschen Medien, Trumps Unterstützer seien hauptsächlich „old, white, angry men“, unzutreffend sind. Ein Pastor segnet den Ort und bringt während seiner Predigt merkliche Unterstützung für Donald Trump zum Ausdruck. Dann landet der Trump-Jet und hält nur 180 Meter vom Publikum entfernt, während eine johlende Menge den Soundtrack von Air Force One hört. Trump kommt die Treppe hinunter, läuft in entspanntem Gang zur Bühne, und winkt der applaudierenden Menge zu. Die Inszenierung erinnert an den herabsteigenden Heilsbringer, der gekommen ist, um die weltlichen Probleme zu lösen, speziell die in Wilmington.

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Seine Rede trifft die Erwartung des Publikums. „Könnt ihr euch vier Jahre mit Hillary Clinton vorstellen… weitere vier Jahre mit ISIS, vier weitere Jahre mit höheren Steuern, vier weitere Jahre mit nichts außer Problemen zusätzlich zu ihren rechtlichen Ungereimtheiten.“ Er wird immer wieder von den frenetischen Rufen der Menge unterbrochen: „Sperrt sie ein! Sperrt sie ein!“ Herr Trump verspricht, Obamacare zu widerrufen. Er nimmt die weitverbreitete Angst vor Immigration auf, indem er zusagt, den Zuzug zu begrenzen. Auf Kosten der mexikanischen Regierung soll die Mauer an der mexikanischen Grenze ausgebaut werden. Er besteht darauf, NAFTA neu zu verhandeln, TPP zu verhindern, und die Verhandlungen zu TTIP auszusetzen. All diesen Vereinbarungen gibt er die Schuld an den hohen Arbeitsplatzverlusten in den USA, speziell in Ohio. Des Weiteren spricht er über bessere Versorgung der Veteranen und der Vollzugsbehörden, ein verbessertes Bildungssystem, und zu guter Letzt die Modernisierung der Streitkräfte. Er sagt, dass diese Modernisierung nötig sei, um ISIS endlich auszulöschen, die zweifelsohne durch Hillary Clintons Beliebigkeit in der Außenpolitik entfesselt wurde. Kurz gefasst kommen bei  Trump die amerikanischen Interessen zuerst und das Land würde so endlich wieder groß. Er, Donald Trump,  wird es sein, der den amerikanischen Traum wieder wahr werden lässt. Allerdings sagt er nicht, wie er all diese Ziele erreichen will.

260 km weiter nördlich stehen unsere Mitglieder durch Hilfe der Wahlkampf-Organisatoren in der ersten Reihe der Eastern-Market-Hallen. Wir hören Vor-Redner wie Reverend Wendell Anthony. Er schließt seinen Auftritt mit einem ungewöhnlichen Rap über die Wahlkampagnen der beiden Kandidaten ab. Während die letzten Verse noch nachwirken, betritt Hillary Clinton die Halle in präsidentieller Haltung. Rechts und links Hände schüttelnd, bekannten Gesichtern in der Menge zunickend und -lächelnd, verbreitet sie eine „Das ist genau der Platz, an dem ich sein sollte“ – Aura. Ihre Fans heißen sie lauthals willkommen, und sie wendet sich fast jeder Gruppe in der Halle zu, während sie ihre Rede hält. Ihre Hauptthemen dabei sind die Schaffung von Wachstum und Wohlstand für den Detroiter Raum, Bildung für dessen Kinder und ausreichend Unterstützung für alle Familien und vor allem Mütter.

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Sie ruft allen Unterstützern zu, den Glauben in diesen letzten Tagen nicht zu verlieren und Familienmitglieder, Kollegen, Nachbarn und wirklich jeden zu überzeugen, wählen zu gehen und deutlich zu zeigen, dass „Liebe Hass übertrumpft“ („love trumps hate“). Hillary Clinton erinnert ihre Unterstützer daran, was sie bereits alles erreicht hat und wie sie ihren Kampf für jeden Amerikaner an jedem einzelnen Tag ihrer Präsidentschaft fortführen will. Sie beendet die Veranstaltung, indem sie erneut darauf hinweist, dass wir wirklich „zusammen stärker“ sind, dann schließlich in die Menge eintaucht, um ihren Unterstützern die Hand zu schütteln oder diese zu umarmen. Plötzlich wirkt sie nicht mehr ganz so distanziert und angespannt.

Am Ende unseres USA Field Trips unternehmen wir noch eine Tour in ärmere Vororte von Detroit. Wir werden von unserem hiesigen Fahrer gebeten, keine Fotos zu machen, da die Reaktion der Menschen nicht allzu freundlich sein könnte. Wir sehen verlassene Häuser und verwahrloste Straßenzüge. Polizeikontrollen wurden ausgesetzt. Ein Zehntel der Haushalte leidet unter Kriminalität. Dennoch sind in der Innenstadt die Erinnerungen an Detroits Glanz sichtbar, aber auch die ersten ermutigenden Erfolge der kommunalen Initiativen zum Aufbau des „Neuen Detroit“. Allerdings scheinen der Verlust so vieler Fabrikarbeitsplätze im „Rust Belt“ und die Vernachlässigung des Washingtoner Establishments den Boden für Trumps Bewegung „Make Amercia great again“ bereitet zu haben.

Unabhängig davon, ob Herr Trump oder Frau Clinton die Präsidentschaftswahl gewinnt, bleibt die Frage, wie das amerikanische Volk nach diesem beispiellosen Wahlkampf wieder vereint werden kann.