Erster Global Bridges Study Trip nach Russland

Kolomna, Moskau und Sankt Petersburg

23. bis 30. September 2017

„Russland ist ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium.“ sagte Sir Winston Churchill einst. Um dieses Rätsel ein Stück weit zu entschlüsseln in einer Zeit, in der viel übereinander geredet, aber wenig miteinander gesprochen wird, ist eine Global Bridges-Delegation erstmals nach Moskau und Sankt Petersburg gereist.

Das Brückenbauen fiel uns am leichtesten im exzellenten kulturellen Teil des Programms: Beim Austausch mit russischen Avantgarde-Künstlern im Kloster Kolomna, das etwa 120 km südöstlich von Moskau liegt, und in Sankt Petersburg sowie bei Besuchen im prachtvollen Bolschoi-Theater zur Freiheitsoper „Fürst Igor“ und zu „Schwanensee“ im Mikhailovsky Theater wurde deutlich, wie nahe sich Russland und Deutschland kulturell seit Jahrhunderten stehen und wie groß der russische Beitrag zur europäischen Kultur ist. Im liebevoll restaurierten Kloster Kolomna wurde uns außerdem die Renaissance der orthodoxen Kirche vor Augen geführt, die nach 70 Jahren der Repression unter den Sowjets nun wieder auflebt und von großem Zuspruch getragen wird. Die Klostervorsteherin äußerte sich zu Fragen weiterer Zusammenarbeit mit westlichen Kirchen überwiegend skeptisch. Die Eremitage in Sankt Petersburg gehört zweifelsfrei zu den großartigsten Kunstsammlungen der Welt. Dank einer hervorragenden Führung konnten wir einige ihrer größten Schätze bewundern, und es wurde auch dem Thema Beutekunst nicht aus dem Wege gegangen.

Die Gespräche zu den Wirtschaftsbeziehungen waren zum einen geprägt von der Diskussion über Gründe und Folgen der Wirtschaftssanktionen. Das schwache russische Wirtschaftswachstum der letzten Jahre lässt sich damit nach Ansicht unserer Gesprächspartner aber nur teilweise erklären. Mit Wirtschaftsvertretern und Think Tanks wurde vielmehr herausgearbeitet, dass eine Kombination aus einer einseitigen Konzentration auf Rohstoffgewinnung in Zeiten niedriger Weltmarktpreise, mangelnder Diversifikation und Modernisierung der Industrie sowie Bürokratielasten und Rechtsunsicherheiten dazu führen, dass das größte Land der Welt sein enormes Potenzial bei weitem nicht ausschöpft. Der Kreml verfolgt unabhängig von den Sanktionen eine Lokalisierungsstrategie mit protektionistischen Elementen. Diese habe im low tech Sektor, z.B. in der Lebensmittelproduktion, kurzfristige Erfolge erzielt, allerdings zulasten einer langfristig nicht international wettbewerbsfähigen Industrieentwicklung. Im Ergebnis müsse man sich auf absehbare Zeit auf geringe Wachstumsraten in Russland einstellen.

Insgesamt bietet der russische Markt nach wie vor große Chancen, und deutsche Unternehmen genießen nach wie vor einen verlässlichen Ruf – auch, weil sie selbst unter schwierigen politischen Rahmenbedingungen einen langen Atem bewiesen hätten. So ist für das Unternehmen unseres Ehrenvorsitzenden Dr. Michael Otto Russland nach wie vor eines der wichtigsten Länder – auch weil die Konkurrenz durch Amazon dort nur schwach ist. Überhaupt sind die Silicon Valley-Giganten in Russland nicht stark vertreten und haben durch heimische Unternehmen harte Konkurrenz. Die Erfolge der russischen Digitalunternehmen erklären sich auch durch das nach wie vor gute Bildungs- und Hochschulwesen des Landes.

Beim Gorny Institut – eine traditionelle, in enger Partnerschaft mit Deutschland entstandene Bergbau-Universität – und der St. Petersburger Universität für Geistes- und Sozialwissenschaften konnten sich die Global Bridges-Delegierten vor Ort ein Bild davon machen und im Gespräch mit Studierenden auch die Hoffnungen und Sorgen der jungen Generation besprechen.

Die politischen Gespräche waren von der Absicht getragen, zunächst den Standpunkt der anderen Seite zu verstehen. Russland sieht sich als europäisches Land, welches aber auch mit Asien eng verbunden ist. In dieser Tradition wurden die Beziehungen mit China in den letzten Jahren wieder intensiviert, und Russland bemüht sich, an dessen „Belt and Road Initiative“ zu partizipieren. Dabei, so die Einschätzung von Think Tanks, muss die russische Führung aber die schmerzliche Erfahrung machen, dass China mittlerweile der stärkere Verhandlungspartner ist. Im Übrigen klang bei einigen unserer Gesprächspartner Enttäuschung darüber an, dass die chinesischen Partner es mit ihrer Bündnispartnerschaft nicht ernst genug meinten. Es fehle bisher an chinesischen Direktinvestitionen und China nutze Russland bisher in erster Linie als Absatzmarkt für seine Überschußproduktionen.

Bei den Gesprächen zum Konflikt in der Ukraine gingen die Ansichten erwartungsgemäß weit auseinander. Während die Annexion der Krim im Westen als völkerrechtswidrig angesehen wird, betrachtet die russische Seite diese als legitim. Beim Konflikt in der Ostukraine gibt es zwischen den politischen Führungen jedoch Annährungen, die getragen sind vom gemeinsamen Willen, dass die Waffen dort dauerhaft schweigen sollen, damit sich die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung verbessert.

Unabhängige Meinungsforschungsinstitute haben uns gezeigt, wie sich die Einstellung der Russen gegenüber dem Westen über die Jahre verändert hat. Nach einer anfänglichen West-Euphorie in den 1990er Jahren bekam der Wunsch zu engen Beziehungen mit den USA und der Europäischen Union durch die Kriege im Irak und Georgien Rückschläge – von denen es aber zumindest größtenteils eine Erholung gab. Dauerhaft gekippt ist die Stimmung mit der Krim-Annexion und ihren Folgen. Seitdem blüht der russische Nationalismus auf, und die Bevölkerung begrüßt mehrheitlich eine Abgrenzung des Landes vom Westen.

Ein Jahr vor der Fußballweltmeisterschaft präsentieren sich das Straßenbild und die öffentliche Sicherheit in Moskau und Sankt Petersburg in hervorragendem Zustand. Historische Gebäude in Moskau und Sankt Petersburg wurden wieder saniert und durch beeindruckende moderne Architektur ergänzt.

Zugenommen haben in Russland auch Repressionen gegenüber Oppositionellen.  Unmittelbar in der Nähe des Delegationshotels befindet sich der Ort, wo Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Sichtweite des Kremls auf offener Straße erschossen wurde. Dort legen Bürger täglich Blumen ab. Kreml-Kritiker Alexei Nawalny wurde während unserer Reise verhaftet.

Politische Stiftungen berichteten von einem zunehmend schwereren Arbeitsumfeld. Nach jüngster Gesetzeslage müssen sich ausländische Stiftungen „Agenten“ nennen.

Die zahlreichen Gespräche zeichneten ein differenziertes Bild von einer großen Kulturnation mit großem, unerschlossenem ökonomischen Potenzial. Die Reise war unserem Gründungsvater Walther Leisler Kiep gewidmet, der sich zeitlebens für einen konstruktiven und respektvollen Dialog mit dem größten Land der Welt einsetzte. Walther zitierte in diesem Zusammenhang gern den Architekten der Ostpolitik, Egon Bahr: „Für Deutschland ist Amerika unverzichtbar, aber Russland ist unverrückbar.“ In diesem Sinne wird sich Global Bridges weiterhin in Global Foren mit Russland befassen, russische Young Leaders einladen und auch in den nächsten Jahren mit Study Trips einen anspruchsvollen Rahmen bieten, damit sich unsere Mitglieder vor Ort ein Bild machen können.