Neue Bedrohung für die Freiheit der Seewege – wie verletzlich sind Deutschland und Europa?

Die Sicherheit der Seewege ist ein wichtiges Thema, insbesondere für Länder wie Deutschland, deren Wirtschaft sich zu großen Teilen auf ihre Handelsflotte stützt. Global Bridges veranstaltete deswegen am 21. April 2021 ein Video-Symposium dazu. Folgende Redner waren eingeladen: Konteradmiral Jürgen zur Mühlen, derzeitiger Abteilungsleiter Einsatz im Marinekommando und unter anderem früherer Force Commander der Operation Atalanta, und Irina Haesler, Leiterin des Bereichs maritime Sicherheitspolitik und der EU-Vertretung des Verbands Deutscher Reeder (VDR).

Das Symposium wurde von Dr. Sarah Kirchberger moderiert, die neben ihren Tätigkeiten als Leiterin der Abteilung Strategische Entwicklung in Asien-Pazifik am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) und Vizepräsidentin des Deutschen Maritimen Instituts (DMI) auch Vorstandsmitglied bei Global Bridges ist. Auf Seiten von Global Bridges nahmen Dr. Beate Lindemann, Geschäftsführende Vorsitzende des Vereins, und mehr als 30 Mitglieder teil.

Dr. Lindemann stellte zu Beginn die Redner und Moderatorin vor und dankte allen für ihre Teilnahme. Sie stellte außerdem fest, dass diese Veranstaltung innerhalb kurzer Zeit schon die zweite zu dem Thema Seewege sei, da es im September schon ein Symposium über Indopazifische Sicherheitsfragen mit einer chinesischen Partnerorganisation gegeben habe. Dr. Kirchberger dankte Global Bridges und ihr persönlich für die Planung der Veranstaltung und ging auf die Wichtigkeit des Themas Sicherheit der Seewege ein, das von Politik und Bevölkerung häufig unterschätzt werde. Als Exportnation mit einer der größten Handelsflotten weltweit sei Deutschland äußerst verwundbar durch die Unpassierbarkeit von Meerengen oder ganzen Gewässern, wie dem Südchinesischen Meer. Die kürzliche Blockade des Sueskanals sei ein klares Zeichen dafür gewesen, wie sehr Deutschland von der Freiheit der Meere abhängt. Im Vorfeld der Beiträge der Redner fragte sie nach Zukunftsprognosen und Lösungsansätzen, mit denen auch Deutschland als Land mit kurzem Küstenstreifen und relativ kleiner Marine das Thema angehen könnte.

Irina Haesler unterstrich zu Beginn ihres Beitrags noch einmal die Wichtigkeit des Seehandels für die deutsche Wirtschaft; Die deutsche Handelsflotte sei die fünftgrößte der Welt, in Containerschiffen sogar die zweitgrößte, außerdem gehen 80-90% des globalen Handels übers Meer, trotzdem werde dem Thema von der Politik keine große Bedeutung beigemessen. Reeder würden die geopolitischen Spannungen immer als Erste spüren, da in manchen Fällen Schiffe mit fadenscheinigen Vorwänden in den Häfen von Drittländern festgesetzt werden könnten, was die Gewinnmargen der Reedereien stark von der Willkür dieser Drittländer abhängig mache. Auch sei die Piraterie vor Westafrika im Gebiet des Golfs von Guinea eine ernstzunehmende Gefahr, da die Professionalität und Brutalität der Piraten stark zunehme. Außerdem habe die Pandemie neben gestiegenen Transportkosten viele Seeleute auf der ganzen Welt in fremden Ländern gestrandet, die auch in Deutschland noch immer unter anderem durch die Seemannsmissionen betreut würden.

Nach einer Frage von Dr. Kirchberger, was aus Sicht der VDR die deutsche Marine noch tun könne, um die Piraterie vor Westafrika einzudämmen, antwortete Haesler, dass sie, wie viele europäische Bündnispartner, ein Schiff in den Golf von Guinea schicken könne, um auch deutsche Schiffe vor dem Zugriff der Piraten zu beschützen.

Konteradmiral Jürgen zur Mühlen ging zu Beginn seines Beitrags darauf ein, dass die Freiheit der Seewege ein Kernelement der Aufgaben der Deutschen Marine darstellt , sicherheitspolitische Rahmenbedingungen die Präsenz beziehungsweise den Einsatz der Deutschen Marine qualitativ und geographisch bestimmen und die Fähigkeit zur Landes- und Bündnisverteidigung hier einen Schwerpunkt darstellt. Sicherheit,  Handelsplätze, Arbeitsplätze, Einkommen und Wohlstand sind zu einem nicht unerheblichen Teil von der reibungslosen Verschiffung von Gütern aller Art abhängig, von dem der Löwenanteil über die Meere verschickt wird. Die wachsende politische und wirtschaftliche Bedeutung des indo-pazifischen Raums und der asiatischen Märkte und damit einhergehend die Ausgestaltung der internationalen Ordnung ist für Deutschland, Wertepartner in der Region sowie USA, Großbritannien und Frankreich von besonderem Interesse. Der Einsatz für eine regelbasierte internationale Ordnung, einschließlich der Sicherheit der Seewege in der Region, ist ein wichtiger Aspekt. Die deutsche Marine hat und wird auch zukünftig im Rahmen des internationalen Krisenmanagements zusammen mit den Bündnispartnern einen Beitrag zur Sicherheit der Seewege leisten. Dabei wird eine Bandbreite von präventiven Ansätzen, wie zum Beispiel die Zusammenarbeit mit und Ausbildung von Partnern vor Ort, bis hin zum eigentlichen Einsatz, so zum Beispiel die  Operation Atalanta vor dem Horn von Afrika, verfolgt.

Die Situation in Westafrika sei eine völlig andere, als in Somalia; einerseits bestünden bereits Institutionen westafrikanischer Staaten um sich dem Thema anzunehmen, andererseits beeinflusse die westafrikanische Piraterie den Welthandel in einem kleineren Maße, als es vor Somalia der Fall war. Die Bundesregierung werde weiterhin ihre Ressourcen bedacht einsetzen und die Dringlichkeit der Lage im Golf von Guinea beobachten. Für eine deutsche Marinepräsenz vor Ort sei die Lage jedoch noch nicht ernst genug.

Auf Nachfrage von Dr. Kirchberger erklärte zur Mühlen, dass China die Freiheit der Seewege primär durch seine Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer sowie den Aufbau einer maritimen Seidenstraße gefährde. Die Entsendung einer deutschen Fregatte in den Indopazifik sei ein notwendiger Schritt, um den Bündnispartnern und den Partnern in der Region, sowie auch China, ein klares Zeichen für die Freiheit der Meere zu senden. Ein multilateraler Einsatz der Bündnispartner müsse weiterhin der Modus Operandi gegenüber China bleiben.

Dr. Kirchberger fragte daraufhin Frau Haesler, ob sie die intensive Nutzung der neuen Arktisroute, die die Länge vieler Passagen in der Gegend verkürzen könnte, für realistisch halte. Frau Haesler antwortete, dass wenige deutsche Reeder an dem Thema interessiert seien. Trotzdem sei schon zu sehen, dass sich internationale Organisationen dem Thema verstärkt zuwenden, um die Route zu regulieren. Russland stemme sich jedoch vehement dagegen.

Zu der Anmerkung Dr. Kirchbergers, dass sich viele Anrainerstaaten des Golfs von Guinea über die Entsendung europäischer Kriegsschiffe nicht erfreut zeigten, sagte zur Mühlen, dass die Bundesregierung den Ansatz verfolge, „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu leisten. Staaten würden bei dem Aufbau von Kapazitäten zur Pirateriebekämpfung materiell und mit Schulungen unterstützt. Dass die deutsche Marine, anders als andere Staaten, kein Schiff entsende, liege daran, dass es keine ausreichend wichtigen Interessen im Gebiet habe, anders als zum Beispiel Frankreich. Auf EU-Ebene sei es außerdem noch nicht zu einer Übereinkunft zum gemeinsamen Einsatz gekommen.

Auf die Frage eines Teilnehmers, wie Meerengen; zum Beispiel die Straße von Hormus blockiert werden könnte, antwortete Admiral zur Mühlen, dass es nicht der Versenkung zweier Containerschiffe bedürfe, wie vorgeschlagen, sondern schon Gerüchte über Seeminen in der Meerenge Grund für eine erhebliche Einschränkung des Öltransports sein könnten.

Zum Thema westafrikanische Piraterie fügte Frau Haesler noch hinzu, dass private Sicherheitskräfte oft unzuverlässig seien, da nie klar sei, wie gut sie in einer Gefahrensituation reagieren können. Außerdem verbieten fast alle westafrikanischen Staaten die Verwendung von bewaffneten Sicherheitskräften in ihren Hoheitsgebieten. Es gebe außerdem viele andere Wege, Piratenüberfälle zu verhindern, wie zum Beispiel Wasserwerfer oder Stacheldraht an der Reling.

In puncto maritimer Seidenstraße warnte sie eindringlich vor den Gefahren chinesischer Hafenakquisitionen, da im Ernstfall nicht gewährleistet werden könne, dass Schiffe unabhängig von ihrem Flaggen- oder Eigentümerstaat gleich behandelt werden. Admiral zur Mühlen pflichtete ihr bei und fügte noch hinzu, dass das Spionage- und Sabotagerisiko in solchen Häfen um einiges erhöht sei. Man müsse sich in diesem Fall also überlegen, ob man den Hafen überhaupt anfahren sollte.

Zum Ende des Symposium dankte Dr. Lindemann allen Rednern und Teilnehmern für ihr Mitwirken und stellte ein weiteres Symposium zu dem Thema in Aussicht. Außerdem lud sie alle Anwesenden zu der Videokonferenz am 18. Mai 2021 ein, wo es um die wirtschaftspolitischen Prioritäten der neuen Bundesregierung gehen wird.