Grüne Inflation

Am 8. Februar 2022 fand das Video Symposium „Grüne Inflation“ mit Professor Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW), und Professor Dr. Bert Rürup, Chefökonom beim Handelsblatt, statt. Das Video Symposium wurde von dem wirtschaftspolitischen Korrespondenten der Zeitung DIE ZEIT Mark Schieritz moderiert.

Die geschäftsführende Vorsitzende von Global Bridges, Dr. Beate Lindemann, begrüßte zunächst die Teilnehmer und wies darauf hin, dass Dr. Josef Joffe, der ursprünglich das Video Symposium moderieren sollte, aufgrund seiner Lehrtätigkeit in den Vereinigten Staaten leider verhindert war.

Die Thematik der grünen Inflation sei sowohl hochaktuell als auch spannend, denn die Steigerung der Energiepreise habe bereits jetzt zu gesellschaftlichen Turbulenzen und ökonomischen Problemen geführt. Es wurde betont, dass die Phillipskurve, welche die negative Beziehung zwischen Inflationsrate und Arbeitslosenquote beschreibt, über das letzte Jahrzehnt flach war und fortlaufend sinkende Arbeitslosigkeit bis zur Pandemie nicht zu einem Anstieg der Lohnstückkosten geführt hätte. Das Panel erinnerte daran, dass es viele Jahre gab, in denen wir nahezu keine Preissteigerung erlebt haben.

Im letzten Jahr sei jedoch eine Stärkung der Teuerungseffekte sichtbar geworden. Einer der Gründe hinter der Teuerung könnte mit der andauernden Corona-Pandemie sowie den Auswirkungen der Lockdowns auf die Gesamtwirtschaft zusammenhängen. Das Institut der Wirtschaft Köln geht davon aus, dass es in den zwei bisherigen Corona-Jahren einen Wertschöpfungsausfall in Höhe von rund 350 Milliarden Euro gab. Aufgrund fehlender Erfahrungswerte mit solch angebotsseitiger Schocks (beispielsweise der Störung von Lieferketten und Logistiksystemen) sei es jedoch derzeit nicht absehbar, wie lange die Nachruckeleffekte aus der Pandemie andauern werden. Die aktuellen Preissprünge könnten allerdings zu gleichen Teilen auch auf die anhaltenden geopolitischen Spannungen, auf die Rücknahme der befristeten Mehrwertsteuersenkung sowie auf das Wideranziehen der Weltkonjunktur zurückzuführen sein.

Seit rund 400 Jahren wird Inflation als Steigerung der Preise verstanden. Es wurde jedoch festgestellt, dass Teuerung in diesem Falle die adäquatere Begrifflichkeit sei, da sie von Kostensteigerungen herrührt. Daher sei die grüne Inflation eigentlich eine Teuerung, wobei es zu einer Verknappung des Verbrauchs oder einer Teuerung von fossilen Energieträgern komme. Inflation sei erst gegeben, wenn der Geldmantel per se zum Problem werde.

In diesem Zusammenhang wurde vor einer „Preis-Lohn-Preis-Spirale“ gewarnt,[1] bei der eine Vermengung von Faktoren z.B. der exogene Schock durch die geopolitische Situation aber auch die aktuelle Lieferketten- und Halbleiterproblematik in einer Teuerung resultieren, die durch Energiepreise verstärkt und zukünftig durch den CO2-Preis getrieben wird. Um die für das Jahr 2045 in Deutschland anvisierte Klimaneutralität zu erreichen, sei es jedoch auch klar, dass die Nutzung fossiler Energieträger und der Verbrauch von CO2 teurer werden müsse. Insbesondere die CO2-Bepreisung habe eine Breitenwirkung, da sie sowohl die Produktion wie auch den Konsum betrifft. Damit der Weg zur Klimaneutralität in Deutschland forciert werde, müsse der Preiseffekt gerade zu Beginn stark sein und die Veränderung relativer Preise zulasten fossiler Energieträger und emissionsgebundener Produkte hingenommen werden; nur dann kämen die notwendigen deutlichen Verhaltensänderungen in Gang. Man müsse jedoch Mengeneffekte bedenken. Ein Vergleich zu den steigenden Ölpreisen der 1970er Jahre sei angebracht, denn Öl und CO2 seien in ihrer Breitenwirksamkeit in Bezug auf das relative Preisniveau ähnlich.

Einhergehend mit der Energiewende findet derzeit ein Alterungsschub statt, der Einfluss auf Produktivität und Wachstum hat. Vor dem Hintergrund eines Rückgangs des Erwerbspersonenpotenzials und einem Anstieg des Altenquotentien wurde vor der Verringerung des disponiblen Ressourcenvolumens gewarnt. Jedoch sei eine Antwort auf diese demographischen Verwerfungen schwierig zu finden, obwohl eine solche Krise ja eigentlich gut vorhersehbar sei. Der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials könnte aber auch dazu führen, dass Gewerkschaften Lohnerhöhungen für spezifische Gruppen durchsetzen könnten. Um das Arbeitsvolumen bis 2030 konstant zu halten, wurden einige Vorschläge zu ihrer Mobilisierung unterbreitet: Erhöhung der Wochenarbeitszeit, Abschaffung des Ehegatten-Splittings, Einführung von Ganztagsschulen etc.

Mit Hinblick auf die Frage, ob das 2%-Inflationsziel in Zukunft erreichbar sei, herrschte Uneinigkeit im Podium. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Verwerfungen zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie den gestiegenen klimapolitischen Ansprüchen wurde das Ziel als eher ambitiös beschrieben. Wichtig sei es jedoch zu betonen, dass 4/5 der aktuellen 5% Inflationsrate auf angebotsseitige Probleme, wie unterbrochene Lieferketten, zurückzuführen seien; nur 1/5 sei die Folge der Energiewende und beispielsweise durch die Einführung der CO2-Bepreisung oder die Reduzierung der Kontingente des Emissionshandels geschuldet.

Folglich könne die Antwort auf den Preisanstieg auch keine straffere Geldpolitik sein, da sie die zugrundeliegenden Probleme nicht beseitigen würde. Da die Europäische Zentralbank (EZB) seit Langem expansiv gewesen wäre, sei der Geldmantel schon jetzt ziemlich groß. Die Frage kam auf, ob die EZB nicht schon vor einiger Zeit mit den Wertpapier-Kaufprogrammen hätte aufhören müssen und ihre unkonventionellen Maßnahmen (z.B. Strafzins auf kurzfristige Bankeneinlagen) beenden sollen. Entscheidend sei aber vielmehr, dass die Geldpolitik der EZB nicht der Treiber der Inflation sei und deswegen zinspolitisches Handeln derzeit nicht im Raum stünde. Sollte es zu einer Preis-Lohn-Preis-Spirale in Europa kommen, müsse man dies jedoch überdenken.

Wichtig sei es außerdem festzustellen, dass es seit 1999 keine Instanz mehr in Deutschland gäbe, die für Geldpolitik und folglich für einen Anstieg des Preisniveaus in der Bundesrepublik zuständig ist. Dies würde im Umkehrschluss jedoch nicht bedeuten, dass die Politik nicht mit dem Anstieg des Preisniveaus umgehen muss. Es wurde davor gewarnt, dass der ambitionierte Ausstieg aus den fossilen Energien sowie die Energiewende zu massiven verteilungs- und somit sozialpolitischen Verwerfungen führen könnte. Daher müsste insbesondere die Finanzpolitik wichtige soziale Fragen beantworten und der Staat dafür sorgen, dass es in den unteren Einkommensgruppen nicht zur Bedürftigkeit der Grundsicherung kommt. Vor diesem Hintergrund wurde die Forderung laut, die zwingenden Verlierer der Preiseffekte durch gezielte Ausgleichmaßnahmen zu kompensieren: Da ein Anstieg der Energiepreise unvermeidlich sein wird, müssten Menschen mit geringen Einkommen kompensiert werden; unabhängig der allgemein bestehenden Förderung des Verbrauchs von klimagerechten Energien. Die Anpassung der Grundsicherung zum 1. Januar 2022 zeige, welche relativ geringen Mittel zu einer tendenziellen Kompensation erforderlich seien. Zur Abmilderung von Härtefällen könnten auch Einmalzahlungen wie beispielsweise ein Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger gut geeignet sein. Zusammenfassend wurde betont, dass ein sozialer Ausgleich unabdingbar sei, um die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz für die Energiewende zu schaffen.

Neben dem klaren sozialpolitischen Auftrag gäbe es allerdings auch noch einen steuerpolitischen. Da sich hohe Inflationsraten bei der Einkommenssteuer bemerkbar machen, kam der Ruf nach einer Dynamisierung/Glättung der Einkommenssteuertarife und ihrer Indexierung mit der Inflation hoch. Ob dies allerdings mit Hinblick auf den gegenwärtigen Rückgang des Potentialwachstums machbar sei, blieb fraglich.

Die erwähnte Kompensation für den Anstieg des Preisniveaus müsse allerdings über soziale Schieflagen hinausgehen. Aus dem Publikum kam die Forderung, die Industrie, insbesondere jene energieintensiven Branchen, die in den letzten Jahren negative Nettoinvestitionen gehabt haben, durch eine Senkung des Industriestrompreises zu entlasten. Vor dem Hintergrund der ökologischen Transformation müssten vor allem auch Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.

Bis 2026 wird sich die CO2-Abgabe verdoppeln, was sich auch auf die aktuelle Teuerung durschlagen wird. Klimaschutz-Programme wie das Fit-for-55-Paket und der Umstieg auf teurere erneuerbare Energien werden sich in steigenden Produktionskosten und somit auch Verbraucherpreisen sichtbar machen. Gleichzeitig ist im Rahmen des Video Symposiums jedoch auch deutlich geworden, dass ein gewisses Maß an grüner Inflation sowohl richtig wie auch notwendig sein wird, um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen und durch eine Anpassung der relativen Preise zulasten fossiler Energieträger die notwendigen Verhaltensänderungen herbeizuführen.

[1] Anm. der Redaktion: Die wechselseitige Aufschaukelung zwischen Preiserhöhungen auf der einen Seite und Lohnerhöhungen auf der anderen Seite.