Erinnerungen an unseren Freund Dr. h. c. Walther Leisler Kiep
„Was bleibt, ist große Zuversicht“
Walther Leisler Kiep, 5. Januar 1926 bis 9. Mai 2016
Der Vorstand und die Mitglieder von Global Bridges trauern um Walther Leisler Kiep. Der Abschied vom Gründungsvater des Vereins ist für uns schmerzhaft und reißt eine tiefe Lücke in unsere Gemeinschaft.
Leitmotiv von Walthers Leben war es, Brücken zu bauen. Zwischen Kulturen, Nationen und Menschen aus ganz unterschiedlichen Hintergründen. Viele von uns sind deshalb Freunde geworden, weil wir uns durch ihn kennengelernt haben. Sein Handeln setzt Maßstäbe für Unternehmertum, politische Führungskraft und bürgerschaftliches Engagement.
Gemeinsam mit seiner Weggefährtin Dr. Beate Lindemann hat Walther erst die Atlantik-Brücke und dann Global Bridges zu einzigartigen Institutionen gemacht. Unsere Gedanken und unser tief empfundenes Mitgefühl in diesen schweren Stunden sind bei Walthers Familie und bei Beate, die sein Werk fortsetzt. Vor allem das von den beiden entwickelte und gepflegte Young Leaders Netzwerk hat ein dauerhaftes Vermächtnis geschaffen. Für Generationen von Young Leaders war Walther Leisler Kiep ein Idol. Für zahllose, hochkarätige Amerikaner, Chinesen, Westeuropäer und – das war ihm nach 1989 besonders wichtig – nun auch für viele Osteuropäer gehört es zum prägendsten und eindrucksvollsten Erlebnis ihres Lebens, dabei sein zu dürfen. Jeder, der dies erlebt hat, sagt stolz: „Einmal Young Leader, immer Young Leader.“ Walther hat in seinem Leben viele Ehrungen erhalten. Besonders stolz aber war er darauf, unser „Honorary Forever Young Leader“ zu sein.
Mit unternehmerischem Geschick und Tüchtigkeit wurde der Hanseat früh unabhängig. Walther nutzte sein erarbeitetes Vermögen als Mäzen und um mit ausgesprochener Großzügigkeit seine Mitmenschen zu unterstützen. Mit seiner wirtschaftlichen Freiheit konnte Walther seine politischen Ämter und Mandate unabhängig ausüben. Er tat stets das, was seinen Werten und Überzeugungen entsprach und nicht nur das, was die Parteidisziplin vorschrieb. Seine politische Heimat waren die Christdemokraten, wo Richard von Weizsäcker sein engster Freund und Verbündeter war. Es war aber bezeichnend für Walther, dass er als Freigeist über die Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen genoss. Theo Sommer schrieb in seinem Nachruf in der ZEIT treffend, Walther sei der wohl „beste Bundesaußenminister, den wir nie hatten“. Helmut Schmidt und Gerhard Schröder vertrauten ihm wichtige diplomatische Missionen an, vor allem in der Türkei. Mit diesem Land war er seit seiner Kindheit eng verbunden, weil sein Vater dort mit dem Neuaufbau der türkischen Handelsflotte beauftragt wurde. Die Global Bridges Young Leaders in Erbil staunten nicht schlecht, als Walther ihnen auf Türkisch erzählte, er sei als kleiner Junge von seinem Vater dem Präsidenten Atatürk vorgestellt worden.
Mit Walther zu reisen, war stets Privileg und Hochgenuss. Bis spät in die Nacht konnten wir auf den Reisen, die er Atlantik-Brücke- und Global-Bridges-Mitgliedern ermöglichte, seinen geistreichen Ausführungen lauschen. Er konnte gut zuhören und aus seinem reichen Erfahrungsschatz in Politik und Wirtschaft immer einen passenden Ratschlag geben. Sein feiner Humor erfreute jede Runde. Und egal wie spät es dabei wurde, auf eines war Verlass: Walther war am nächsten Morgen als Erster an Deck, perfekt gekleidet, vom Scheitel bis zur Sohle. Ein Gentleman durch und durch. Seine hanseatische Weltläufigkeit, menschliche Wärme und sein augenzwinkernder Charme – das alles sind andauernde Bereicherungen für jeden, der ihn kennenlernen durfte.
Egal wo wir in der Welt mit Global Bridges und der Atlantik-Brücke waren – ob in China, den USA, der Türkei, Israel und vielen weiteren Ländern – in Walthers Begleitung konnte man sich stets darauf verlassen, als Freunde empfangen zu werden. Türen, die sonst verschlossen sind, wurden für ihn geöffnet. Und wo sonst nur in diplomatischen Floskeln gesprochen wird, haben wir durch ihn Zugang zu vertraulichen Hintergrundgesprächen bekommen, bei denen Klartext gesprochen wurde und konnten so einen substantiellen Dialog aufbauen.
Das gilt vor allem für China, das er längst vor dessen kometenhaften Wiederaufstieg zur Weltmacht bestens kannte. Er reiste schon als junger Mann mit der transsibirischen Eisenbahn ins Reich der Mitte und erlebte dort ein noch von Mao geprägtes Land, in dem Menschen in blauer Einheitskluft Fahrrad statt Auto fuhren. Walther erkannte früh, dass dort in Ostasien ein Gigant wiedererwachte. Folglich trug er maßgeblich dazu bei, dass Volkswagen in Shanghai ein erstes Joint Venture begründete. Damit wurde der Grundstein zum heute profitabelsten Markt des Wolfsburger Autobauers gelegt. Sein jahrzehntelanges Bemühen um einen respektvollen Dialog mit China wurde dort mit hoher Wertschätzung gewürdigt. Erst kürzlich schrieb sein Freund Yang Wenchang, Präsident des Chinese People´s Institute of Foreign Affairs: „Our cooperation is valuable and conducive to promoting the friendship of the people in our countries.“
Typisch für Walther war, dass für ihn die Menschen stets vor allen wirtschaftlichen und politischen Interessen kamen. Torsten Krauel würdigte im Nachruf in der WELT Walthers enorm idealistischen Charakterzug mit diesem Erlebnis: „Nur jemand wie Kiep konnte in Peking eine Bettlerin mit Kind in einer Unterführung erspähen, den indignierten chinesischen Chauffeur zum Anhalten zwingen, Mutter und Kind in eine Klinik schaffen und die gleichfalls indignierten Ärzte durch Kostenübernahme zur Behandlung bringen. Nur jemand wie er machte die gesundgepflegte Tochter der Wanderarbeiterin zur Miterbin. Und nur jemand wie er flog von einer Tagung der Atlantik-Brücke in Washington nach China, um dieses Mädchen in einem bettelarmen Bergdorf aus den Klauen der Dorfmafia zu befreien.“
Die traurige Nachricht von Walthers Tod hat viele Global-Bridges-Mitglieder beim Field Trip in Israel erreicht. In der evangelischen Erlöserkirche in Jerusalem fand noch am Abend des 9. Mai eine Andacht zum ehrenden Gedenken an Walther statt, gehalten vom Propst der evangelischen Kirche im Heiligen Land. Das hat uns Trost gegeben in der Gewissheit, Walther als gläubigen Christen damit gerecht geworden zu sein und ihm einen besonderen Segen gespendet zu haben. Walther legte größten Wert darauf, die Freundschaft mit Israel aufzubauen und zu festigen. So folgte er der Bitte von Ministerpräsident Shimon Peres sofort, als dieser um Unterstützung bei den schwierigen Verhandlungen mit Arafat bat. Walther hat die Schrecken der Nazi-Herrschaft, die er als junger Mensch miterlebte, nie vergessen. Sein Onkel Otto Kiep wurde als Mitglied des Kreisauer Kreises von den braunen Horden hingerichtet. Walthers Lehre aus dieser Zeit lautet: „Never again, and never alone.“ Nie wieder dürfen Verbrechen gegen die Menschlichkeit von Deutschland ausgehen. Und nie wieder darf Deutschland isoliert von der westlichen Wertegemeinschaft sein. Dass wir vor dem Hintergrund der deutschen Vergangenheit von Botschafter a.D. Avi Primor und vielen anderen Israelis als Freunde im Heiligen Land empfangen wurden, war für Walther ein kleines Wunder. Ein Wunder, das der aufrichtigen Erinnerungskultur und der harten Arbeit von Menschen wie Walther zu verdanken ist.
Aus dem gleichen Grund war Walther die Partnerschaft mit den USA eine solche Herzensangelegenheit, welche er so ausdrückte: „Ich glaube, dass wir diese Nähe zu Amerika, die uns in der schwersten Stunde unserer Geschichte so entscheidend geholfen hat, als Thema Nummer Eins unserer Außenpolitik behalten sollten.“ Und er fügte gern scherzend hinzu, dass ihm seine Freundschaft zu den USA auch in die Wiege gelegt worden sei. Sein zweiter Vorname „Leisler“ erinnert in der Familie Kiep an den Vorfahren Jakob Leisler, der als Vorkämpfer der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung 1691 in New York von den Engländern aufgeknüpft wurde. Walther verkehrte in den USA in den höchsten Kreisen und war u.a. mit George Bush senior und Henry Kissinger befreundet. In Washington hörte man ihm zu, selbst wenn er sich nie scheute, auch unbequeme Themen anzusprechen. Ein Vermächtnis von ihm ist: „Ich habe den Wunsch, dass meine Generation die Überzeugung von der Bedeutung der deutsch-amerikanischen Beziehung der nächsten Generation vermittelt.“ Dazu hat er selbst wie kaum ein Zweiter beigetragen.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 begann Walther diese Westanbindung auch jungen Führungskräften aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion durch Studienreisen und Konferenzen zu ermöglichen. Und gleich nach der Wende haben Walther und Beate gemeinsam die „Youth for Understanding Stiftung“ ins Leben gerufen. Tausenden von ostdeutschen Oberschülern haben die beiden Stipendien für ein Jahr in den USA gegeben, um Brücken aus der Neuen Welt in die Neuen Bundesländer zu bauen. Walther und Beate richteten dazu jährlich als Benefizveranstaltung die zauberhaften „Enchanted Holiday Evenings“ im weihnachtlichen New York aus.
Die Liberalisierung und Demokratisierung Russlands im partnerschaftlichen Dialog war ein Projekt, dem er sich bis zuletzt verschrieben hat. In seinem letzten Interview mahnte Walther eine Wiederbelebung der Modernisierungspartnerschaft zwischen Russland und Deutschland an. Zu Ehren seines 90. Geburtstages hat Beate Lindemann für den 23. Juni zum ersten Walther-Leisler-Kiep-Symposium mit dem Thema „Deutschlands Russland-Politik am Scheideweg?“ eingeladen. Seine Stimme wird dort schmerzlich fehlen.
„Was bleibt, ist große Zuversicht.“ Das war das Resümee, welches Walther zog, als er seine Tagebücher veröffentlichte – ein ausgesprochen spannendes Dokument der Zeitgeschichte. Dieser Satz strahlt seinen unerschütterlichen Optimismus aus, seinen Glauben an das Gute im Menschen und dass der Lauf der Dinge durch Tatkraft zum Besseren gestaltet werden kann.
Was uns bleibt, ist große Dankbarkeit. Jeder von uns wird ein Stück von dem weiter leben, wofür Walther sein Leben lang gearbeitet hat. Albert Schweitzer hat gesagt, dass das, was ein Mensch an Gutem in die Welt hinausgibt, nicht verloren geht. Unsere Aufgabe ist es nun, das Gute, das Walther in vielen Jahrzehnten vollbracht hat, zu erhalten, zu mehren und anderen weiterzugeben. Wir sind unserem Freund und unserem Vorbild Walther Leisler Kiep von ganzem Herzen dankbar und werden sein Lebenswerk in ehrendem Gedenken fortsetzen.
Dr. Hans Albrecht und der Global Bridges Vorstand