Der Westen und China & Honkong – Spannungen und eine offene Zukunft

22. Juni, 2020

Im Mittelpunkt unserer Videokonferenz am 22. Juni zu China und den Westen stand das spannende Gespräch von zwei Experten auf diesem Gebiet: Wolfgang Niedermark, Vertreter der deutschen Wirtschaft und Vorsitzender der Außenhandelskammer in Hongkong, und Dr. Hubert Lienhard, lange Vorsitzender des Asien-Pazifik Ausschusses der deutschen Wirtschaft und CEO von Voith GmbH & Co. KGaA. Wie wichtig es sei, dass zunächst Europa gestärkt werden müsse, um unabhängiger auf die Herausforderungen aus den USA und aus China reagieren zu können, wurde sehr schnell deutlich. Europa müsse seine selbstständigere Rolle im Decoupling-Prozess zwischen den beiden Weltmächten finden und in dem Prozess käme Deutschland eine zentrale Rolle zu. In dieser schwierigen Zeit habe Deutschland die Verantwortung, die transatlantischen Beziehungen zu stärken anstatt sie zu schwächen. Das informationsreiche und lebhafte Gespräch endete mit einem engagierten Plädoyer für ein starkes Europa. Die Einführung und Moderation übernahm Frau Dr. Beate Lindemann.

Hongkong – „one country two systems”

Die erneuten Proteste in Hongkong hätten gezeigt, dass die Stadt nach wie vor ein zentraler Reibungspunkt zwischen dem kommunistisch regierten China und dem sich auf freiheitlich-demokratische Werte stützenden Westen sei, so Wolfgang Niedermark. Er startete mit einem „Blick in den Maschinenraum“. Vor einem Panoramafenster sitzend deutete er auf die Hongkonger Skyline, um zu zeigen, „dass Hongkong nicht brennt“. Zwar würde die Bevölkerung es als „Verstoß gegen die bisherigen Abmachungen empfinden“, dass Mainland China seine Durchgriffsrechte  in Hongkong durch das Security Law weiter ausbaue, jedoch sei das Modell „one country two systems“ in vielen Bereichen weiterhin belastbar. Bezüglich der deutschen Unternehmen in Hongkong sieht Niedermark keine kurzfristigen Einschränkungen der Geschäftstätigkeit durch den fortschreitenden „Mainlandisierungsprozess“, welcher langfristig jedoch zu Selbstzensur führe und den liberalen Charakter Hongkongs verdränge, so Niedermark.

Der Westen und China

Dass der Westen, einschließlich USA, und China kein harmonisches Verhältnis pflegen, haben bereits der langwierige Handelsstreit und die gegenseitige Ausweisung von Journalisten vor mehreren Monaten gezeigt. Die Verantwortung für die Verschlechterung der Beziehungen wurde damals vielfach der US-Administration von Präsident Donald Trump unterstellt, was so aber nicht ganz richtig sei, sagte Dr. Hubert Lienhard: Die Auseinandersetzung zwischen den USA und China sei kein Trump-Thema sondern vielmehr die in beiden Häusern verbreitete Sorge,  der amerikanischen Weltmacht, ihre Stellung zu verlieren.

Dr. Lienhard gab zu bedenken, dass aber trotzdem in der Zuspitzung der bilateralen Beziehungen eine große Gefahr liege, nämlich dass Europa sich entscheiden müsse, auf welcher Seite es stehen wolle. China habe das Prinzip von „Teilen und Herrschen“ mit der Belt and Road Initiative sehr gut umgesetzt und habe auch bereits einige EU-Staaten, darunter Italien, an Bord geholt. Um derartige Aktionen, welche die EU mit Sicherheit spalten würden, zukünftig zu verhindern, komme es, laut Dr. Lienhard, vor allem darauf an, dass Deutschland aktiv nach europäischen Lösungen suche. Auf diese Weise könne Deutschland dazu beitragen die Rolle Europas in der Weltpolitik zu stärken.

Unsere Welt wird nicht immer globaler

Ein Prozess, der die Rolle eines starken Europas umso wichtiger macht, ist das sogenannte Decoupling, das Wolfgang Niedermark als „das Gegenteil von Globalisierung“ beschreibt. Das Decoupling ließe sich in einen passiven und aktiven Teil trennen. „Aktiv“ seien etwa amerikanische Maßnahmen wie Zölle und Investitionsbeschränkungen, Beendigung von Forschungszusammenarbeit  und Drohungen  gegenüber Handelspartnern.  Demgegenüber entzöge China sich den Globalisierungsprozessen in „passiver“ Weise (beispielhaft nannte Niedermark den erschwerten Marktzugang für ausländische Unternehmen, ein Internet, das zensiert und stark national geprägt ist und den Charakter eines Intranets aufweise sowie die Tatsache, dass China sich nicht an internationale Produktstandards gebunden fühle) und sich weniger als zuvor bemühe, sich stärker  in globalisierte Systeme zu integrieren.

Dr. Lienhard unterstrich die Aussagen von Wolfgang Niedermark, indem er den oft zitierten Leitspruch „Handel schafft Wandel“ für China als nicht zutreffend beschreibt. Seiner Meinung nach zeigt sich klar, dass China sein System der Staatsgelenkten Marktwirtschaft konsequent umsetze. Das negative Bild von den USA in Europa helfe ebenfalls nicht bei der Verbesserung der amerikanisch-europäischen, Beziehungen, erklärte Dr. Lienhard, und fügte hinzu, dass das Schlimmste, was passieren könnte, die Aufforderung der USA sei, dass Europa sich für eine Seite entscheiden solle.

Letzter Ausweg: Starkes Europa

In einem überzeugenden Plädoyer für ein starkes Europa zog Dr. Lienhard sein Fazit: Es liege in Europas Händen, seine eigene Zukunft zu gestalten. Die Positionen Chinas und der USA seien fest in beiden Systemen verankert. Sie bräuchten einen Ausgleich in Gestalt einer „dritten Alternative“, etwa Europa. Die Voraussetzung für ein starkes Europa sei eine „starke Führungsgestalt“, die breite Unterstützung erfahre und vor allem zwei Dinge verfolge: Erstens, eine enge europäische Zusammenarbeit auf militärischer Ebene und zweitens, eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik. Gegenwärtig sei die Wirtschaftspolitik national ausgerichtet und beinhalte ein Kartellrecht, das versuche, über ein hohes Angebot den vermeidlich besten Preis für die Kunden zu erwirken. Als Folge könnten Firmenfusionen, wie von Siemens und Alstom, nicht verwirklicht werden, sodass große und global wettbewerbsfähige Infrastrukturen gar nicht erst entstehen könnten. Aus seiner Sicht müsse die EU wegkommen von „Schlagworten für die Zukunft und hin zu konkreten Maßnahmen für die Gegenwart“.

Zum Schluss erinnerte Wolfang Niedermark daran, dass China bei aller systemischen Konkurrenz ein etablierter Handelspartner sei, auf dessen Märkten grosse Chancen liegen, und den man brauche, um globale Herausforderungen wie Klimaschutz, Fluchtursachenbekämpfung oder internationale Sicherheit effektiv zu bearbeiten. Zudem müsse Europa sich auch auch stärker um entlegene Regionen in Osteuropa kümmern, um dort China das Feld nicht gänzlich zu überlassen. Dies wiederum sei der EU nur aus einer Position der Stärke möglich.