Australiens Vision für den Indopazifik – Deutschlands Rolle

Von Botschafter Philip Green

Aus dem englischen Original übersetzt durch die Global Bridges-Redaktion.

Als die wohl bedeutendste Region der Welt beheimatet der Indopazifik nicht nur die Hälfte der Weltbevölkerung, sondern auch einige der dynamischsten Volkswirtschaften und verkehrsreichsten Schifffahrtsrouten der Welt. Schätzungen zufolge wird der Indopazifik bis 2030 für annähernd 60 Prozent des globalen Wachstums verantwortlich sein. Der Aufstieg Chinas erklärt natürlich einen großen Teil dieses Trends, genauso wichtig sind jedoch auch das wirtschaftliche Wachstum Indiens sowie des Verbands Südostasiatischer Nationen (kurz ASEAN).

Über Jahrzehnte sorgten stabile Machtverhältnisse und eine Struktur von Rechtsvorschriften, Normen und Institutionen für die Sicherheit und Stabilität der Region. Dieser Rahmen schuf zudem ein günstiges Umfeld für Wirtschaftswachstum sowie den Ausbau von engen und vernetzten Handelsbeziehungen. Australien ist sehr daran interessiert, die Regeln, Offenheit und Widerstandsfähigkeit der Region zu bewahren, da der australische Wohlstand und auch unsere Sicherheit davon abhängen.

Doch das strategische Umfeld verändert sich. Heutzutage ist der Indopazifik das Epizentrum eines neuen strategischen Wettbewerbs, in dem die Gefahr von Fehleinschätzungen und Konflikten wächst. Wir erleben erhebliche Verschiebungen im Machtgleichgewicht – Regeln, Normen und Institution geraten zunehmend unter Druck. Spannungen über territoriale Ansprüche drohen zu eskalieren. Cyberangriffe werden nicht nur häufiger, sondern auch raffinierter. Desinformation und ausländische Einmischung werden dazu genutzt, Gesellschaften zu manipulieren. Protektionismus und wirtschaftlicher Zwang sind auf dem Vormarsch.

Ein gewisser zwischenstaatlicher Wettbewerb mag unbequem sein, ist aber angesichts unterschiedlicher Interessen und Werte unvermeidbar. Die Aufgabe besteht deshalb darin, den Wettbewerb so zu regeln, dass er nicht zu ernsthaften Reibungen oder [gewaltsamen] Konflikten führt. Wir Australier müssen alle Nationen so in das globale System einbinden, dass Entwicklung und Zusammenarbeit gefördert werden. Gleichzeitig muss aber auch das Recht kleiner und mittlerer Staaten gewahrt werden, weiterhin souveräne Entscheidungen zu treffen.

Australien ist sehr bemüht, einen positiven Einfluss auf die Gestaltung der [Indopazifik] Region auszuüben, indem es seine Beziehungen zu den Ländern der Region, zu regionalen Gruppierungen wie ASEAN, dem Pazifischen Inselforum oder dem Quatrilateralen Sicherheitsdialog (kurz Quad) sowie zu weiter entfernten, der Rechtstaatlichkeit verpflichteten Partnern – wie Deutschland – in zunehmendem Maße ausbaut.

Über viele Jahrzehnte hinweg hat Australien durch sein Engagement und in enger Zusammenarbeit mit seinen Nachbarn in den Bereichen Bildung, Handel und Sicherheit zum Wohlstand der Region beigetragen. Unsere Freundschaften mit den Ländern des Indopazifik bestehen seit langer Zeit und basieren auf gegenseitigem Vertrauen, Respekt und der Bereitschaft, einander in guten sowie schlechten Zeiten zu unterstützen.

Botschafter Philip Green OAM

Philip Green ist der australische Botschafter in Deutschland, der Schweiz und Lichtenstein. Zuvor diente er als Botschafter/Hochkommissar in Singapur, Südafrika und Kenia. Bei seinem letzten Einsatz in Canberra war Botschafter Green für die Leitung der Indo-Pazifik-Strategie Australiens sowie für die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, Kanada und den ASEAN-Staaten verantwortlich.

Momentan gibt es keine höhere Priorität als die Reaktion auf die gesundheitlichen Bedürfnisse der Region. Über die letzten zwei Jahrzehnte war der Indopazifik der Motor des globalen Wachstums. Seine Antwort auf die Pandemie wird maßgeblich über das Ausmaß der wirtschaftlichen Erholung Australiens und anderer Länder, einschließlich Deutschlands, entscheiden. Australien tätigt große Investitionen in der Region, um eine positive Zukunft für unsere Nachbarn zu sichern. Dazu gehört die australische Strategie Partnerships for Recovery in Höhe von 1,5 Milliarden Euro, die sich auf Gesundheitssicherheit, Stabilität und die wirtschaftliche Erholung im Pazifik und in Südostasien konzentriert. Australien hat außerdem mehr als 480 Millionen Euro bereitgestellt, um den pazifischen und südostasiatischen Ländern den Zugang zu sicheren und wirksamen COVID-19-Impfstoffen zu ermöglichen.

Ein weiteres nennenswertes Beispiel für unsere Arbeit zum Aufbau der Kapazitäten unserer Nachbarn ist Australiens Beitrag zur Entwicklung einer hochwertigen, transparenten und sicheren Infrastruktur. Der Indopazifik wird bis zum Jahre 2030 jährlich 1,4 Billionen Euro benötigen, um sein Wachstum aufrechtzuerhalten, den Klimawandel zu bewältigen und seine Konnektivität zu verbessern. Australien hat das Korallenmeer-Telekommunikationskabel zwischen Australien, Papua-Neuguinea und den Salomon-Inseln finanziert und kofinanziert zudem ein geplantes Unterseekabel nach Palau gemeinsam mit Japan und den USA. Über das Australian Infrastructure Financing Facility for the Pacific (AIFFP) und dem Partnerships for Infrastructure Program für Südostasien sind Pläne zur Finanzierung vieler weiterer Projekte in der Region in Vorbereitung.

ASEAN steht im Mittelpunkt der australischen Vision eines offenen, integrativen und widerstandsfähigen Indopazifik, da die Gruppierung für den Erfolg unserer Region von entscheidender Bedeutung ist. Vor fast 50 Jahren waren wir der erste Dialogpartner der ASEAN und haben unser Engagement seither stetig ausgebaut. Dieses Jahr wurden wir zum ersten Comprehensive Strategic Partner von ASEAN und kündigten Investitionen in Rekordhöhe zur Unterstützung einer Reihe neuer Aktivitäten an. Unsere Zusammenarbeit werden wir im Rahmen jährlicher Gipfeltreffen zwischen dem australischen Premierminister und den Staats- und Regierungschefs der ASEAN-Staaten weiter vertiefen.

Der Quatrilaterale Sicherheitsdialog stellt eine weitere wichtige Säule unseres Engagements dar. Er nutzt die Fähigkeiten und gemeinsamen Interessen Australiens, Indiens, Japans und der USA, um eine positive und inklusive Agenda für den Indopazifik voranzubringen. Das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Quad-Staaten im September war ein deutliches Signal für unsere gemeinsamen Bemühungen zur Bewältigung der entscheidenden Herausforderungen unserer Zeit. Die Staats- und Regierungschefs verpflichteten sich zu praktischer Zusammenarbeit, um die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen von COVID-19 einzudämmen und vereinbarten eine weitgehende Kooperation in den Bereichen Klimawandel, kritische und neue Technologien, Cybersicherheit, Infrastruktur sowie der nachhaltigen und stabilen Nutzung des Weltraums. Das Gipfeltreffen baute auf der bestehenden Zusammenarbeit in den Feldern maritime Sicherheit, Bekämpfung von Desinformation und Terrorismus sowie humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe auf.

Wie alle Länder wird auch Australien weiterhin in unsere Verteidigung investieren. Wir stärken unser Streitkräfte in der unmittelbaren Nachbarschaft und haben im September zusammen mit dem Vereinigten Königreich und den USA eine verstärkte Partnerschaft für den Technologieaustausch – AUKUS – angekündigt. Im Rahmen dieser Partnerschaft wird eine erste Initiative zu konventionell bewaffneten U-Booten mit Nuklearantrieb verfolgt. AUKUS lässt die langjährige Verpflichtung Australiens zur Nichtverbreitung von Kernwaffen unberührt. Australien wird sich auch weiterhin für eine friedliche Region einsetzen. Jedoch verstärkt die Partnerschaft unsere Fähigkeit, eine wirksamere Rolle bei der Stärkung der regionalen Sicherheit und der Stabilität zu spielen – zum Nutzen aller Nationen.

Die Veröffentlichungen der deutschen Indopazifik-Leitlinien im Jahr 2020 und der EU-Strategie für die Zusammenarbeit im Indopazifik im Folgejahr zeigen, dass Australien und die EU-Mitgliedstaaten sich einig sind in ihrem Wunsch

  • nach einer regionalen Ordnung, die von vielen Stimmen, Perspektiven und Akteuren geprägt ist;
  • nach einer Region, in der Konflikte durch Regeln und internationales Recht beigelegt werden,
  • und nach einer Region, in der alle Staaten unabhängig von ihrer Größe und Macht respektvoll behandelt werden und in der alle Länder souveräne Entscheidungen treffen können.

Die Verwirklichung dieser Ziele erfordert jedoch eine konsequentere und kohärentere Zusammenarbeit zwischen jenen Nationen, die unsere Vision teilen.

Da die Zukunft des Indopazifiks globale Auswirkungen hat, brauchen wir ebenso globale Akteure, darunter Deutschland und die EU, die eine aktivere Rolle bei der Gestaltung der Region spielen. Wir begrüßen die verstärkte Aufmerksamkeit und das Engagement Europas und freuen uns auf die weitere enge Kooperation bei der Verfolgung unserer gemeinsamen Vision für den Indopazifik.