Israel, der Nahe Osten und die Corona-Krise

18./25. Mai, 2020

Die COVID-19 Pandemie stellt alle Gesellschaften vor Herausforderungen, verändert ihre Dynamiken und die Routinen ihrer Menschen. Der Nahe Osten und gerade Israel sind in besonderer Weise von dieser Entwicklung betroffen, wie uns sowohl Dr. Asher Susser am 18. Mai als auch Dr. Gershon Baskin am 25. Mai in den beiden Global Bridges Videokonferenzen zu Israel erklärten. Beide sind führende israelische Nahostexperten, die uns durch unsere vielen Study Trip bekannt sind: Susser als Senior Fellow am Moshe Dayan Center for Middle East Studies und Baskin als Gründer und Co-Vorsitzender des Israel/Palestine Center for Research and Information (IPCRI). Die Konferenzen wurde von Dr. Steven Althaus, ehem. Chief Marketing Officer, BMW AG & Credit Suisse Group, geleitet, der durch seine hervorragende Moderation und seine zielgerichteten Fragen eine angenehme und konstruktive Diskussionsatmosphäre geschaffen hat. Die Einführung in das Thema und die Vorstellung der Sprecher übernahm Beate Lindemann.

Die Coronakrise und der Nahe Osten

Die Coronakrise kam zur falschen Zeit und traf die Region in einer Phase, die ohnehin von wirtschaftlicher Schwäche geprägt war, sagte Susser. Eine besonders schwache Figur würde Saudi-Arabien abgeben, das als Führer der arabischen Welt gilt, aber in der gegenwärtigen Krise ein sehr blasses Bild abgibt. In abgewandelter Form gelte diese Erkenntnis auch für Iran, den die Krise an einem Tiefpunkt der Macht seines Regimes treffen würde, so Susser. Aber nicht nur Regime und Machtgefüge in der Region seien bedroht, sondern auch die kleinen Leute in den jeweiligen Staaten. Für sie wirke die Krise wie ein Brandbeschleuniger, da Exportpreise fallen, der Tourismus einbreche und Remittances ausblieben, fasst Asher Susser zusammen. Für die gesamte Region des Nahen Ostens stellt er fest, dass es einen tief verwurzelten Autoritarismus gibt, der im Zuge des arabischen Frühlings zwar geschwächt wurde, der Ausbruch von COVID-19 „das Rad aber wieder zurück gedreht“ hat.

Susser und Baskin sind sich in dem Punkt einig, dass die gegenwärtige Lage eine neue gesellschaftliche Dynamik innerhalb Israels erzeugen könnte. Beide erwarten, dass die arabische Minderheit  mit israelischer Staatsangehörigkeit von der erwarteten Dynamik profitiert. Ihr 20-prozentiger Anteil am ärztlichen Personal hat ihre Sichtbarkeit in der Gesellschaft deutlich erhöht und hat ein Gefühl von Zusammenhalt mit der übrigen Bevölkerung geschaffen.

Asher Susser erwartet zudem einen starken Verlust gesellschaftlichen Ansehens der ultraorthodoxen Minderheit in Israel, da sie „Teil des Problems in dieser Krise sind“. Die überproportionale Infektionsrate innerhalb dieser Gruppe spiegelt die Missachtung von Geboten zur Eindämmung der Pandemie wider. „Während die Araber integraler Teil der Gesellschaft wurden, haben die Ultraorthodoxen sich von der Gesellschaft entfernt“, so Susser. In diesem Zusammenhang gab auch Baskin zu bedenken, dass die Ultraorthodoxen Schlüsselpartner der Netanjahu Regierung sind und die Krise einen politischen Umschwung im Land einleiten könnte.

Der Jahrhundertplan der USA

Gershon Baskin sieht die Intervention der USA im Nahen Osten vor dem Hintergrund seiner langjährigen Erfahrung in israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen sehr kritisch und bezeichnet sie als „negativen Einfluss“. Besonders die Administration von Präsident Trump würde mit der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem und unakzeptablen Jahrhundertplänen eine negative Atmosphäre schaffen, wie auch Asher Susser bemerkte. Statt darüber zu diskutieren, ob es eine Zwei-Staaten Lösung geben sollte oder nicht, wäre es wichtiger, sich auf Prinzipien zu verständigen, um eine neue Verhandlungsrunde zu ermöglichen, stellte Baskin klar. Zudem sollten nicht nur Israelis und Palästinenser in die Verhandlungen eingebunden sein sondern auch Jordanien, das bereits die Rolle des neutralen Verwalters übernehme.

Die Beziehung zwischen Israelis und Palästinensern kann am besten als Co-Dependenz beschrieben werden, sagte Baskin, da die Israelis auf die Arbeitskraft der Palästinenser angewiesen sind und diese wiederum Israel für eine überlebenswichtige Grundversorgung mit Wasser und Lebensmitteln brauchen. Ein so komplexes System mit einem Jahrhundertplan lösen zu wollen, ist unmöglich, aber entlarvend, da die USA – genau wie die EU – Regime unterstützt statt Menschen. Als Quellen der größten Gefahr sieht Baskin zum einen ein Machtvakuum in Palästina und zum anderen den Verlust des Glaubens daran, dass eine Lösung möglich ist. Erste Anzeichen dafür zeigen sich in Israel, dessen Bürger meist sehr auf ihren Staat fokussiert sind und sich weniger für die Probleme in ihrer Region interessieren.

Die neue israelische Regierung

Auf die neue israelische Regierung mit Benny Gantz, Kandidat der Blau-Weiß Koalition, angesprochen, stimmten beide darin überein, dass Gantz für eine unklare politische Vision stehe und einen fragwürdigen Wahlkampf geführt hat. Als große Schwäche des Netanjahu Herausforderers bezeichneten beide seine fehlende Entscheidungsfreudigkeit. Sowohl das distanzierte Verhältnis zur arabischen Minderheit, das ihm die Mehrheit im Parlament kostete, als auch die lange kategorische Ablehnung einer Koalition mit Netanjahus Likud, die er letztendlich doch einging, bestätigten die Einschätzung der Experten.

Die Frage von Steven Althaus, ob es ein positives Momentum im Land gäbe und die große Koalition nun in der Lage sei, die Coronakrise oder sogar größere Krisen zu bewältigen, verneinte Gershon Baskin klar. Die Regierung wäre nur zustande gekommen, weil keine Optionen mehr übrig waren und den Verantwortlichen keine andere Lösung mehr eingefallen sei.

Abschlussstatement

Als Schlusspunkt der Videokonferenz bat Herr Althaus beide Redner ihr Wort an eine fiktive Abschlussklasse von 2020 zu richten. Sowohl Susser als auch Baskin legten den Fokus dabei auf die junge Generation im Nahen Osten. Asher Susser, der sich eher auf die israelische Jugend bezog, forderte sie auf, eine Vision für die Zukunft zu entwickeln, sich selbst als Stütze der Zukunft zu sehen sowie Konflikte zu reduziert und den Kontakt zwischen Israelis und Arabern zu erhöhen. Im Gegensatz dazu nahm Gershon Baskin Bezug auf die palästinensische Jugend und bezeichnete sie als „größte Quelle für Optimismus in der Region“. Besonders in Palästina werden junge Leute die Zukunft bestimmen, dessen Führungsfiguren weiblich sein werden, schloss Baskin.