I. Chinesisch-Deutsches Videosymposium: Indo-Pacific Security Challenges

17. September, 2020

Im Mittelpunkt des ersten chinesisch-deutschen Videosymposiums zwischen Global Bridges und dem China Institute for International Strategic Studies (CIISS) standen die sicherheitspolitischen Herausforderungen im Indo-Pazifik.  Beispielhaft dafür stehen Fragen im Zusammenhang mit Territorialkonflikten im Südchinesischen Meer, Rüstungskontrolle und Rivalitäten zwischen den Großmächten. In den kürzlich vom Auswärtigen Amt veröffentlichten „Leitlinien zum Indo-Pazifik“ wird hervorgehoben, dass sich „die Ausgestaltung der internationalen Ordnung“ im Indo-Pazifik entscheidet. Der Konferenz wurde deshalb von allen Beteiligten große Bedeutung für Gegenwart und Zukunft zugemessen

Die Gastredner auf deutscher Seite waren Professor Dr. Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik (ISPK) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Brigadegeneral (i.R.) Rainer Meyer zum Felde, Senior Fellow am ISPK, und Petra Sigmund, Beauftragte für Asien, Südostasien und den Pazifik im Auswärtigen Amt. Wir freuten uns, auf chinesischer Seite unseren alten Freund Generalmajor (i.R.) XU Nanfeng, Vice Chairman des CIISS, zu begrüßen sowie auch Oberste (i.R.) MU Changlin, CHEN Fangming, CHEN Wei, YU Hanmin und BAI Zonglin, die alle Senior Research Fellows am CIISS sind.

Der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber von DIE ZEIT, Dr. Theo Sommer, moderierte das Symposium. Auf Seiten von Global Bridges nahmen Dr. Beate Lindemann, Executive Chairman, und Dr. Hans Albrecht, Chairman of the Board, an der Konferenz teil.

Erstes Thema

Wie können das Sicherheitsdilemma und die Rivalität zwischen den Großmächten im Indo-Pazifik gehandhabt werden?

Oberst (i.R.) CHEN Wei stellte das erste Thema der Konferenz vor, das sich auf das Sicherheitsdilemma und die Rivalität zwischen den Großmächten bezog. Er erwähnte die großen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und merkte an, dass sich die Welt an einem Scheideweg befinde. Die Probleme der Welt seien mit einem Mangel an Global Governance erklärbar. Die Lage habe sich durch die Pandemie verschlimmert, obwohl stärkere Zusammenarbeit dringend notwendig gewesen wäre. Laut Chen hätten die USA kein Interesse daran, Global Governance zu fördern. Das chinesische Sicherheitskonzept hingegen würde sich auf Kooperation, Offenheit und Innovation fokussieren. China wolle ein neues System der internationalen Beziehungen schaffen, um das zentrale Problem des Sicherheitsdilemmas, nämlich Misstrauen, zu überwinden. An Europa gewandt bemerkte Chen, dass China zwar ein Partner und ein Konkurrent sein könnte, aber nicht als systemischer Rivale gesehen werden sollte.

Brigadegeneral (i.R.) Rainer Meyer zum Felde wies auf die unabdingbare Rolle der USA für den Schutz Europas hin und unterstrich, dass das Geschehen im Indo-Pazifik Europa direkt betreffe. Die Verringerung der US-Truppenstärke in Europa, die durch die verstärkte Präsenz von US-Truppen im Indo-Pazifik verursacht werde, erhöhe die Bedrohung Europas durch Russland. Er sehe die Belt and Road Initiative (BRI) der Volksrepublik als eine Bedrohung für Europas logistische und strategische Ressourcen. Dies, sowie die verstärkte militärische Kooperation zwischen Russland und China, führe zu Argwohn in Europa gegenüber Chinas Intentionen. Zuletzt warnte er davor, dass eine europäische Marinepräsenz im Südchinesischen Meer unvermeidbar sein könnte, wenn der Dialog mit den USA nicht eingeleitet wird und die Spannungen anhalten.

In der folgenden Diskussion wurde das Misstrauen gegenüber chinesischen Absichten, insbesondere in Bezug auf die BRI und die chinesische Ablehnung des UN-Schiedsverfahrens über den Streit um das Südchinesische Meer im Jahr 2016, erneut angesprochen. Die chinesische Seite antwortete, dass China mit der BRI lediglich seinen Wohlstand mit dem Rest der Welt teilen wolle und kein Staat zu einer Zusammenarbeit gezwungen werde. Außerdem werde die BRI besonders in Südostasien dringend gebraucht, denn China würde damit einen Dienst leisten, den westliche Firmen nicht zu leisten bereit wären. Die deutsche Seite antwortete, dass das Misstrauen gegenüber China teilweise mit der Bildung einer neuen, gesonderten Staatengemeinschaft im Zuge der BRI zusammenhänge. Die Zuverlässigkeit Chinas, im Vergleich mit den USA oder Großbritannien, wurde jedoch lobend hervorgehoben.

Zweites Thema

Nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle

Professor Dr. Joachim Krause führte das Thema des zweiten Teils des Symposiums ein. Er zählte die Erfolge der verschiedenen Rüstungskontrollverträge während und nach dem Kalten Krieg auf. Obwohl nukleare Abrüstung für die voraussehbare Zukunft kein realistisches Ziel darstelle, seien Rüstungskontrollverträge ein effizientes Mittel, um Konflikte zu deeskalieren. Wenngleich ein umfassender Vertrag zur Deeskalation des Konfliktes im Südchinesischen Meer wegen der Unnachgiebigkeit beider Seiten unwahrscheinlich sei, könnte eine Art von Verhandlung durchaus erreicht werden. Anderenfalls könnte die Furcht vor chinesischer Aggression Staaten wie Japan oder Südkorea dazu verleiten, Atomwaffen zu entwickeln. In Hinblick auf den von den USA geforderten Beitritt Chinas zum START-Vertrag sagte Krause, dass er die chinesischen Argumente für den Nichtbeitritt, die sich auf die signifikant kleinere Anzahl an Nuklearwaffen Chinas verglichen mit den USA beziehen, verstünde. Er riet jedoch zu einer engeren Beteiligung an den Verhandlungen über strategische Trägersysteme und Nuklearsprengköpfe.

Oberst (i.R.) MU Changlin ging weiter auf die chinesische Position bezüglich der START-Verhandlungen ein und beharrte darauf, dass die Amerikanischen Forderungen „weder gerecht noch vernünftig“ seien. China sei bereit, ein „no-first-use“-Abkommen mit den USA zu unterschreiben. Außerdem habe es chinesische Versuche gegeben, Nuklearwaffen durch einen Weltgipfel zu verbieten. Mu lobte Europas Engagement in der Rüstungskontrolle, betonte aber, dass China ein entschiedener Befürworter von umfassender globaler Rüstungskontrolle sei und in diesem Gebiet auch eine aktive Rolle spiele.

Drittes Thema

Der Disput im Südchinesischen Meer

Oberst (i.R.) CHEN Fangming führte das dritte Thema ein und untermauerte gleich den geschichtlich bedingten Anspruch Chinas auf einen Großteil des Südchinesischen Meeres. China sei das erste Land gewesen, welches das Südchinesische Meer erkundet und genutzt habe und außerdem Souveränität über mehrere Archipele des Südchinesischen Meeres ausgeübt habe. Der chinesischen Position in diesem Thema zufolge hat China einen gut begründeten Anspruch auf das Gebiet. Die Spratly- und Paracel-Inseln seien während Verhandlungen mit der Republik China unter Chiang Kai-Shek durch die US-Regierung 1946 als chinesisches Staatsgebiet bestätigt worden. Da die Volksrepublik das gesamte Gebiet ihres Vorgängerstaates beanspruche, falle ihr auch ein Großteil des Südchinesischen Meeres zu. Bezüglich der Schlichtung des Konflikts, welche 2016 vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag durchgeführt wurde, sagte Chen, dass China keine Schlichtung akzeptieren könne, der nicht vorher durch die Regierungspartei zugestimmt wurde.

Die Beauftragte für Ostasien, Südostasien und den Pazifik am Auswärtigen Amt, Petra Sigmund, vertrat die deutsche Position und hob in dieser Funktion die Bedeutung des Indo-Pazifiks für Europa hervor. Sie bezog sich in diesem Punkt insbesondere auf die unerlässliche Kooperation mit regionalen Partnern und die äußerst wichtigen Schifffahrtswege in der Region, allen voran die Straße von Malakka. Sie widersprach dem vorigen Redner insofern, als dass sie darauf hinwies, dass China UNCLOS unterschrieben habe, der Disput anhand des Vertrages geschlichtet worden sei und China deshalb die Entscheidung des Schiedshofes zu akzeptieren habe. Sie betonte, dass Multilateralismus manchmal bedeutet, dass man „die Ergebnisse multilateraler Institutionen zu akzeptieren hat, selbst wenn sie in bestimmten Fällen gegen einen sind“. Auch kritisierte sie die Militarisierung des Südchinesischen Meeres durch China, da es ihrer Meinung zufolge das Risiko einer Eskalation des Konfliktes erhöhe. Sie sei gespannt darauf, mehr Dialog zum Thema Rüstungskontrolle in der Region zu sehen, da dies Vertrauen schaffen und den Konflikt deeskalieren würde und betonte, dass Deutschland an der Diskussion beteiligt bleibe.

Zusammenfassung

Die Diskussion, an der sich alle Redner und auch einige Mitglieder von Global Bridges beteiligten, begann mit einer Frage der Chinesen: Worin liegen die Unterschiede in der deutschen und amerikanischen Indo-Pazifikstrategie? Der Hauptunterschied, so die deutsche Seite, sei, dass Deutschland China als wichtigen Partner in den Themenbereichen Klimawandel, Freihandel und Sicherheit sehe. Auch wurde hervorgehoben, dass Dialog und Kooperation mit China, besonders angesichts der Streitigkeiten in der Region, unerlässlich seien.

Im Hinblick auf die konfuzianische Maxime der Gegenseitigkeit, fragte die chinesische Seite, wie Deutschland reagieren würde, wenn China das Mittelmeer und die Ostsee als essenzielle Bereiche ihrer Beteiligung deklarieren würde. Die deutsche Antwort war, dass Deutschland die chinesischen Interessen im Mittelmeer und in der Ostsee respektiere, besonders im Hinblick darauf, dass der wirtschaftlich bedeutende Mittelmeerhafen Piräus China gehöre und das Land Manöver im Mittelmeer und der Ostsee durchgeführt habe.

Bezüglich der Unzuverlässigkeit der USA stellte die deutsche Seite die Frage, warum China nicht die frühere Rolle der USA als verlässlichem Partner übernehme, anstatt internationale Verträge zu brechen. Damit bezog sich der Fragesteller insbesondere auf die Einführung der Sicherheitsgesetze in Hongkong. Die chinesische Seite teilte die Einschätzung der deutschen Seite, dass die USA keinen zuverlässigen Partner mehr darstellten, widersprach aber in puncto chinesischer Verlässlichkeit. Die Entwicklung Chinas in den letzten 40 Jahren lasse nur den Schluss zu, dass China willens sei, sich in die globale Gesellschaft einzugliedern und mit ihr zu arbeiten, auch deswegen, weil das Land davon immens profitiert habe.

Nach einer deutschen Frage über eine potenzielle Russisch-Chinesische Militärallianz bekräftigte die chinesische Seite in klaren Worten, dass beide Länder zwar von den USA unter Druck gesetzt würden, es aber trotzdem in der vorhersehbaren Zukunft nicht zu einem bilateralen Bündnis kommen würde. Die deutsche Seite betonte daraufhin, dass Wahrnehmungen in dieser Situation eine Rolle spielen würden und die Russisch-Chinesischen Militärmanöver in der Ostsee Argwohn in Europa hervorrufen würden.

Hinsichtlich der EU unterstrich die chinesische Seite, dass China die europäische Integration und innereuropäische militärische Zusammenarbeit unterstütze. Bilaterale Gespräche mit osteuropäischen EU-Staaten seien keine Versuche, die EU zu entzweien, vielmehr habe China lediglich darauf abgezielt, langwierige Verhandlungen mit der gesamten EU zu vermeiden.

Zusammenfassend erklärte Dr. Theo Sommer, dass Europa und China zwar immer eigene Ziele verfolgen würden, Zusammenarbeit und die gemeinsame Unterstützung des Multilateralismus jedoch immer erstrebenswert seien. Dr. Beate Lindemann gab als Executive Chairman von Global Bridges zu verstehen, dass sie sich nach diesem erfolgreichen Erfahrung eines ersten chinesisch-deutschen Videosymposiums auf die in den nächsten zwei bis drei Monaten folgenden zwei weiteren Konferenzen freuen würde.