V. Study Trip nach Israel und in das Westjordanland

Tel Aviv, Jerusalem, Bethlehem und Ramallah

22. bis 29. April 2017

Israel und das Westjordanland

Eine Reise im Zeichen einer Zeitenwende

Global Bridges hat im Heiligen Land erfahren, wie es um die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland wirklich steht – und wie sich die globalen Verschiebungen auf den israelisch-palästinensischen Konflikt auswirken. Hoffnungsträger – überraschenderweise  für beide Seiten –  ist ein neuer Akteur auf der Weltbühne, dessen Stil in Europa vorwiegend Befremden auslöst: Donald Trump. Dem unberechenbaren US-Präsidenten soll gelingen, woran sein berechenbarer Vorgänger scheiterte.

Zum ausführlichen Bericht von Jochen Gaugele (Berlin Funke Media Group) geht es hier:

Wer morgens sein Radio einschaltet oder eine Nachrichtenseite im Internet aufruft, kann den Eindruck bekommen, dass die Welt – gleichsam über Nacht – noch etwas unberechenbarer, bedrohlicher geworden ist. Wir wachen oft mit Ereignissen auf, die wir kaum für möglich gehalten hätten. Dabei geht es weniger um die vertrauten Konfliktfelder, weniger um Fragen, mit denen wir uns seit langem auseinandersetzen: Kann Amerika den Nahen Osten stabilisieren? Was trägt Europa dazu bei? Seit einigen Monaten geht es verstärkt um Europa, um Amerika selbst. Das Brexit-Votum nährt – ebenso wie der Umgang mit der Flüchtlingskrise – Sorgen um den Fortbestand der Europäischen Union. Und seit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten stellen sich Verbündete und Widersacher darauf ein, dass bisher Undenkbares zu Realpolitik – oder Irrealpolitik – wird.

Teilnehmer der fünften Bildungsreise von Global Bridges nach Israel und Palästina haben auf ihren Smartphones den Ausgang der französischen Präsidentschaftswahl verfolgt – und waren erleichtert, dass der unabhängige Bewerber Emmanuel Macron und nicht die Rechtsextremistin Marine Le Pen den ersten Durchgang für sich entschied. Die Nahost-Reisenden haben auch Trumps Selbstwahrnehmung nach den ersten 100 Tagen im Amt studiert und über seine Absichten diskutiert: Kündigt er das Atomabkommen mit dem Iran? Riskiert er Krieg mit Nordkorea? Würde er im Zweifel auch Atomwaffen einsetzen? Es sind neue Fragen, die sich stellen.

Gespräche mit faszinierenden Persönlichkeiten haben auf dieser Reise einen Eindruck vermittelt, wie sich die globalen Verschiebungen auf den Nahen Osten auswirken können. Das betrifft den israelisch-palästinensischen Konflikt genauso wie die Sicherheitslage in der Region – und das Verhältnis Israels zu Deutschland.

A) Die israelisch-deutschen Beziehungen

Der Holocaust-Gedenktag beginnt für die Teilnehmer der Studienreise mit einem Termin beim deutschen Botschafter in Tel Aviv, Clemens von Götze. Um zehn Uhr heulen Sirenen, ein hoher, flirrender Ton. Für zwei Minuten steht in Israel alles still. Von dem Hochhaus aus, in dem die deutsche Botschaft ihre Räume hat, kann man sehen, wie auf den Straßen die Autos anhalten. Der Botschafter sagt, die bilateralen Beziehungen seien in einem „sehr guten Zustand“ – und nennt als einen Beleg dafür, dass zum Gedenktag der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel nach Israel kommt. Von Götze nennt aber auch zwei Konfliktfelder: den Umgang der Regierung von Benjamin Netanjahu mit Nichtregierungsorganisationen – und die israelische Siedlungspolitik. An diesen Fragen sollte sich tags darauf ein Eklat entzünden. Über die genauen Umstände verbreiten beide Seiten unterschiedliche Informationen. Tatsache ist: Netanjahu sagt seine Begegnung mit Gabriel kurzfristig ab, weil der deutsche Gast auch regierungskritische Menschenrechtsorganisationen trifft.

Bei den Gesprächspartnern von Global Bridges – sei es Rabbi David Rosen, beim American Jewish Committee verantwortlich für die interreligiösen Beziehungen, sei es Benjamin Dagan, leitender wissenschaftlicher Berater des israelischen Außenministeriums – überwiegt die Verwunderung über Netanjahus Verhalten. Innenpolitische Gründe, der wachsende Einfluss der Siedlerpartei Jewish Home in der Regierung, werden angeführt. Andererseits: Wie man Haltung zeigt und dabei einen Eklat vermeidet, beweist einige Zeit später Gabriels Vorgänger im Außenamt, Frank-Walter Steinmeier, bei seinem Antrittsbesuch als Bundespräsident. Global Bridges erlebt, dass die deutsch-israelischen Beziehungen vor allem eines bedürfen: Behutsamkeit.

B) Die Sicherheitslage in der Region

Benjamin Dagan, der wissenschaftliche Berater, breitet Karten aus. Darunter jene, die Israel als einzige Demokratie in der Region zeigt, umgeben von autoritären, muslimisch geprägten Staaten. Grundlegend verändert hat sich die Lage in Syrien. Auf dem Golan, direkt an der Grenze zu Israel, haben islamistische Kämpfer die Kontrolle übernommen. Während des Aufenthalts von Global Bridges in Israel kommt es zu einem Zwischenfall: Eine Drohne dringt nach übereinstimmenden Medienberichten in israelischen Luftraum ein und wird über dem Golan abgeschossen.

Israel ist grundsätzlich bemüht, sich aus dem Syrien-Krieg herauszuhalten. Dagan beschreibt allerdings die rote Linie: Grenzverletzungen, der Einsatz von Chemiewaffen – und Waffentransporte für die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz im Libanon. Die russische Militärpräsenz in Syrien, die Parteinahme für Machthaber Baschar Assad, hat die Machtbalance in der Region verschoben, und Israel richtet sich darauf ein, dass die Russen erst einmal bleiben.

Existenziell bedroht fühlt sich Israel – in besonderer Weise: die Netanjahu-Regierung – von Iran. Berater Dagan hat ein Foto von einer iranischen Militärparade mitgebracht. Es zeigt eine Rakete mit der Aufschrift: „Wenn die Führer des zionistischen Regimes einen Fehler machen, wird der Iran Tel Aviv und Haifa ausradieren.“ Asher Susser vom Moshe Dayan Center an der Universität Tel Aviv hält Iran ebenfalls für eine ernsthafte Gefahr – und gibt den Vereinigten Staaten eine Mitverantwortung: Die USA hätten den Irak beseitigt und damit den Mittleren Osten an Iran ausgeliefert. Das Atomabkommen des Westens mit Teheran, das von der israelischen Führung rundheraus ablehnt wird, sieht Susser durchaus positiv. Die nuklearen Ambitionen Irans müssten nun zehn Jahre pausieren. „Das hätte kein Militär geschafft.“ Ob sich US-Präsident Trump für diese Sichtweise öffnen kann?

C) Der israelisch-palästinensische Konflikt

Die Ernüchterung nimmt zu. Vom „sogenannten Friedensprozess“ ist immer wieder die Rede, vom Bemühen, aus Gründen des Machterhalts des Status quo zu sichern. Davon, dass die Israelis sich in Umfragen mehrheitlich bereit für eine Zwei-Staaten-Lösung zeigen, aber zugleich die Meinung vertreten, dafür gebe es auf palästinensischer Seite keinen Partner. Und in der Tat: Haben Präsident Mahmud Abbas und seine Fatah-Bewegung genügend Rückhalt unter den Palästinensern? Der Gaza-Streifen wird von der radikalislamischen Hamas beherrscht, mit der Verhandlungen schwer vorstellbar sind. Andererseits kommt es zu ersten Demonstrationen in Gaza gegen die Hamas – die Lebensumstände haben sich weiter verschlechtert. Hungerstreiks von Palästinensern in Gefängnissen verschärfen die Lage zusätzlich. Die ARD-Büroleiterin in Tel Aviv, Susanne Glass, sieht darin mögliche Auslöser einer dritten Intifada.

Der Siedlungsbau, den die Regierung Netanjahu vorantreibt, schafft Fakten. Welches Gebiet bliebe überhaupt für einen Palästinenserstaat? Generalmajor a.D. Uzi Dayan, einst Sicherheitsberater von Premierminister Ariel Scharon, beschreibt das Jordantal als unverrückbare Grenze – alles andere sei militärisch nicht zu verteidigen. Mit dieser Haltung ist er nicht allein. Immer wieder gibt es Messerattacken von Palästinensern auf Israelis – auch in der Siedlung Efrat, die Israel gerne vorzeigt, weil sie auf eine Abzäunung verzichtet und friedlichen Umgang mit den Palästinensern in umliegenden Ortschaften sucht. Opfer durch Selbstmordattentate und Raketenangriffe sind allerdings seltener geworden. Das liegt wesentlich an dem Sicherheitszaun, der das Westjordanland durchschneidet, und an dem israelischen Raketenabwehrsystem Iron Dome. Inzwischen wehrt die ‚Eiserne Kuppel‘ nicht nur Angriffe von Hamas und Hisbollah ab, sondern auch Raketen, die ein ägyptischer Ableger der IS-Terrormiliz vom Sinai aus abfeuert.

Die Teilnehmer der Bildungsreise begegnen Menschen wie Kobi Harush oder Roni Keidar. Harush ist Sicherheitschef der Stadt Sderot, die durch Betonmauern und Zäune vom Gazastreifen getrennt ist. In jedem Haus, an jeder Bushaltestelle befindet sich ein Bunker. Vor der Polizeistation sind Katjuscha-Raketen ausgestellt, die in den vergangenen Jahren auf Sderot niedergegangen sind. Kobi Harush hat wenig Zeit, er muss den Schutz des Nationalfeiertags vorbereiten. Er berichtet von traumatisierten Kindern, von traumatisierten Soldaten – und von seiner Erleichterung über den Iron Dome, der immer zuverlässiger funktioniere. Roni Keidar indes würde die Hürden auf dem Weg zum Frieden, nicht zuletzt die Frage nach dem Status Ostjerusalems, am liebsten unsichtbar machen. Die Friedensaktivistin von The Other Voice will die Konfrontation nicht begreifen. Aufrüsten und Krieg zu führen sei doch viel schwieriger als einander zuzuhören, findet sie. Über den Messenger-Dienst Whatsapp ist sie mit Menschen im Gaza-Streifen verbunden. Wenn dort geschossen wird, kann es sein, dass sie eine Nachricht bekommt: „Mach dir keine Sorgen, Hamas übt nur.“

Der größte Hoffnungsträger für Israelis und Palästinenser heißt – Donald Trump. Gerade auch weil Barack Obama für viele im Nahen Osten eine Enttäuschung war. Selbst der Chefredakteur der linksliberalen Tageszeitung Haaretz, Aluf Benn, hegt die Hoffnung, dass dem US-Präsidenten ein Durchbruch gelingt. Benns Argumentation: Auch wenn man Trumps Stil nicht möge – er gehe neue Wege. Und vielleicht brauche man jetzt mal einen Verrückten („Crazy Guy“), um den Knoten zu durchschlagen. Rabbi Rosen formuliert es so: „Einige hoffen auf die Unberechenbaren, weil die Berechenbaren sie enttäuscht haben.“ Peter Beerwerth, Leiter der deutschen Vertretung in Ramallah, beschreibt die Stimmung bei den Palästinensern ähnlich: Trump und seine Leute, die sich neuerdings mit der Materie befassten, hörten zu und wollten lernen. Ein erstes Ergebnis: Die angekündigte Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, die einem politischen Brandsatz gleichgekommen wäre, scheint vom Tisch.

Welche Eindrücke die erste, viel diskutierte Auslandsreise von Donald Trump in Israel und bei den Palästinensern hinterlassen hat? Der nächste Besuch würde sich jetzt schon lohnen.